Licht am Anfang des Tunnels
Gottesdienst am 04.02.2001

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
seit drei Wochen diskutiere ich mit meiner kleinen Tochter, ob wir die Weihnachtslichterketten nun endlich von ihrem Fenster abnehmen oder sie hängen lassen. Längst sind die Nachfolge- Fensterbilder fertig, doch sie kann sich einfach nicht von den bunten Lichtern, die ihr das Einschlafen erleichtern, trennen. Mir ist es schon peinlich, denn ein vergessenes Weihnachtsfenster wirkt doch wie ein schlecht organisierter Haushalt – und dann noch bei einer Pastorenfamilie, die doch wissen müsste, wann Weihnachten vorbei ist. In den letzten Tagen hat sich unsere Diskussion entspannt. Ich habe eine für mich neue Entdeckung gemacht. Weihnachten endet nicht schon mit dem Erscheinungsfest am 6.1., Weihnachten endet erst heute, am letzten Sonntag nach dem Erscheinungsfest. Unsere Kirchenväter und -mütter hatten es längst nicht so eilig wie wir, Weihnachten hinter sich zu bringen. Sie räumten uns fünf Wochen ein, in denen wir uns Kraft und Wegweisung vom Licht Jesu holen können. Sie ließen uns Zeit, Erfahrungen mit Jesus zu machen, bevor wir uns auf sein Leiden und Sterben einlassen. So sind wir heute noch einmal eingeladen, dem Licht nachzuspüren und Orientierung zu bekommen. 

Wir werden in einen Wegabschnitt Jesu kurz von seiner Passion hineingenommen. Gerade berichtete der Evangelist Johannes, dass Jesus seinen toten Freund Lazarus wieder lebendig gemacht hatte. Viele Leute hatten das mitbekommen und anderen von der Wundertat weitererzählt. Unter den Leuten brach neue Hoffnung auf. Sollte Jesus der erwartete Messias sein, der endlich die verhasste Römerherrschaft beenden und gerecht regieren würde? War Jesus der, den die Propheten ankündigten? Doch darauf angesprochen erwiderte Jesus: "Ich werde zu meinem Vater im Himmel gehen und euch alle zu mir nehmen." Das verstanden die Leute nun wirklich nicht. Es passte einfach nicht zu ihrer Vorstellung vom Retter der Welt. Hier und heute sollte er regieren und nicht im Himmel. Jesus ging auf ihre Fragen ein. Er veranstaltete fast eine Art Alpha- Kurs, um ihnen klar zu machen, was Gott vorhatte.

Johannes 12,34-37

Die Menge wandte ein: "Das Gesetz sagt uns, dass der versprochene Retter für immer bleibt. Wie kannst du dann sagen, dass der Menschensohn erhöht werden muss? Wer ist überhaupt dieser Menschensohn?" Jesus antwortete: "Das Licht wird noch kurze Zeit unter euch sein. Geht euren Weg, solange es hell ist, damit die Dunkelheit euch nicht überfällt! Wer im Dunkeln geht, weiß nicht, wohin der Weg führt. Haltet euch an das Licht, solange ihr es habt! Dann werdet ihr Menschen, die ganz vom Licht erfüllt sind."
Nachdem Jesus das gesagt hatte, ging er fort und verbarg sich vor ihnen. Obwohl er sich durch so große Wunderzeichen vor ihnen ausgewiesen hatte, schenkten sie ihm keinen Glauben.

Verschiedene Themen werden hier angesprochen – eben wie ein Alpha- Kurs, der sich über mehrere Wochen erstreckt:

  • Wer ist Jesus? Warum musste er sterben?
  • Licht und Finsternis – Jesus ist da und verbirgt sich
  • Die einen glauben, die anderen glauben nicht.
Wer ist Jesus?
Die Leute um Jesus sagten, der versprochene Retter bleibt für immer. Es gab offensichtlich bestimmte Vorstellungen, wie der Retter auszusehen hatte. Er sollte aus dem Geschlecht Davids kommen, er sollte in Bethlehem geboren sein, er sollte nach dem zweiten Elia auftreten und regieren wie ein zweiter und noch besserer David. Diese Vorstellungen vom Retter sind uns fremd. Sie gehören in die biblische Geschichte, aber nicht in unsere persönliche Geschichte am Anfang des 21. Jahrhunderts.

Und doch gibt es heute wie damals in Jerusalem klare Vorstellungen, wie der Retter für das eigene Leben auszusehen hat. Jemand könnte sagen, ein Retter für mich muss mich lieben wie ich bin, er muss meine krummen Linien begradigen und mir aus den Sackgassen meines Lebens heraus helfen. Ein Retter für mich muss gerecht sein und mich auch mal an dem Kuchen der anderen teilhaben lassen. Ein Retter sollte immer für mich da sein und Zeit haben. Vielleicht ist der idealtypische Retter eine Mischung aus ärztlicher Notdienst, Sparkasse mit Geldautomat und HL, der neuerdings in Neuenhain ist und erst um 20 Uhr schließt. Ein Retter, der immer da ist, immer geöffnet hat, mir alles Nötige gibt, wann immer ich es brauche.

Doch Jesus entzieht sich diesen Vorstellungen von der Rundumversorgung. Er möchte nicht den Notfallservice anbieten, sondern zu einer Lebensgemeinschaft einladen. Er will alle zu sich ziehen, das heißt doch nichts anderes, als dass er Einfluss nehmen will, die – bildlich gesprochen – Wohnung mit einrichten und die Möbel mit aussuchen will. Er möchte als Arzt nicht erst die Symptome behandeln, wenn es fast zu spät ist, sondern zur Vorbeugung anregen und uns animieren, schon hier und heute für unsere Gesundheit im umfassenden Sinn etwas zu tun. Er ist kein Geldautomat, der die Kohle ausspuckt, wenn uns danach ist, sondern er ist unser Finanzberater, rät zum Investieren in Projekte, die Ewigkeitswert haben. Er ist nicht der immer offene HL (den ich persönlich neuerdings sehr schätze), sondern Ernährungsberater, der uns deutlich macht, was wir wirklich zum Leben brauchen und was völlig unnötig und schädlich für uns ist.

Jesus korrigiert Vorstellungen vom Wundertäter und Automaten. Er sagt von sich, dass er sterben wird. Weihnachten mit seinem Licht und die Passion mit seiner Finsternis gehören zusammen. Das Weihnachtsgeschenk haben wir bekommen: Gott ist Mensch für uns geworden. Ob wir es inzwischen ausgepackt haben? Ob Gott wirklich in Jesus zu unserem Freund geworden ist? Jetzt hat das Weihnachtsgeschenk Fortsetzung – es ist wie ein Update der Weihnachtsversion. Gott stirbt an unserer Stelle und überwindet die letzte Konsequenz unserer Trennung von Gott selbst. Jesus ist kein toller Typ, der auf der Zigarettenwerbung erscheinen könnte, er ist Gott an unserer Stelle, der wahre Mensch, der für uns alle Wege bis in den Tod geht.

Licht und Finsternis

Jesus bezeichnet sich als Licht. Das ist ein sehr einleuchtendes und ermutigendes Bild. Wir werden erinnert an die Lichter der Weihnachtszeit, die gerade in unseren trüben Breiten ein wenig Helligkeit und Trost geben. Jesus ist Licht gerade auch im Blick auf seinen Tod. Normalerweise sprechen wir vom Licht am Ende des Tunnels,Tunnel aber Jesus dreht dieses Bildwort um. Er sagt, es ist entscheidend, am Eingang des Tunnels dieses Licht zu kennen, es in sich aufzunehmen und sich selbst von ihm erleuchten zu lassen, dann lässt sich der Tunnel aushalten und unbeschadet überstehen. Wir wissen, dass auch am Ende des Tunnels Jesus im Licht des Ostermorgens auf uns wartet. Aber hier vertröstet er nicht auf Ostern, sondern sagt uns sehr eindringlich: Kauft die Zeit aus, nutzt die Zeit, die ihr mit Jesus habt. Lasst euch die Glaubenserfahrungen anderer erzählen und haltet an euren eigenen fest. Sie geben euch Halt in den Situationen, wo Jesus nicht so hautnah erfahrbar ist, wo er sich verbirgt oder wir uns selbst gegen sein Licht abschirmen.

Finsternis des Tunnels begegnet uns ganz alltäglich in vielfältiger Form. Im Keller ist uns unheimlich, wenn die Glühbirne kaputt geht. Nachts wälzen wir uns und die Sorgen vor morgen sind wie Einbrecher, die uns den Schlaf rauben. Beziehungsstörungen geben uns ein hoffnungsloses Lebensgefühl, als ob wir von der Liebe, der Sonne unseres Lebens abgeschnitten würden. Und Finsternis lässt uns wie blind umhertappen, ohne Orientierung und zunehmend panisch. Nicht selten kreisen wir um uns selbst, suchen verzweifelt nach dem Ausweg und finden uns nur immer tiefer in die Finsternis verstrickt. Jesus malt mit wenigen Pinselstrichen unsere Situation. Er stellt fest, jede und jeder kann in eine solche Lage geraten, ohne Hoffnung, ohne Perspektive, ohne das Vertrauen in eine stärkere Macht. Aber er zeigt uns mit den Pinselstrichen auch etwas anderes, dass wir uns niemals damit abzufinden brauchen. Das Licht Jesus ist da und will nur eingelassen werden.

Vielleicht sind Sie gerade in einem solchen "finsteren" Tunnel, dann meint Jesus gerade Sie und bittet Sie, ihn, das Licht des Lebens einzulassen.

Wie kann man das Licht an sich herankommen lassen? Warum sehen wir das Licht Jesu häufig nicht? Erst einmal ist es ja gegen jede Vernunft, sich im Dunkeln auch noch ein dichtes Tuch über die Augen zu ziehen. Doch Jesus überführt uns, dass wir genau das machen – blinde Kuh spielen. Das Tuch über unseren Augen ist unser Misstrauen gegenüber Gott. Und dieses Misstrauen hält Jesus in großem Abstand. Er hat gar keine Möglichkeit uns Licht zu geben, das Misstrauen schirmt uns völlig ab.

So reicht es völlig, das Tuch von unseren Augen zu ziehen, Jesus eine Chance zu geben, unser Misstrauen nicht wie auf einem selbstgefälligen Tablett vor uns her zu tragen, so nach dem Motto "seht mal, wie kritisch ich bin". Es genügt, aufrichtig zuzugeben, dass ich Jesus nötig habe und meinen Weg gerade auch durch die dunklen Zeiten nicht allein finde.

So beschreibt die Bibel den Weg, wie Menschen ihr Leben Jesus anvertrauen und sein Licht in ihr Leben lassen. Jesus ist hier im Alpha- Kurs des Johannesevangeliums sehr ehrlich, er spricht von Finsternis, er spricht von Zeiten, in denen er verborgen ist. Und Christen kennen diese Zeiten, sie erleben es, dass Jesus nicht immer klar erkennbar ist, seine Weisung auf sich warten lässt, erst im Nachhinein ein Sinn erkennbar wird – und auch das nicht immer. In diesen Krisen, wo wir uns fragen "Wo ist Gottes Weg mit mir?", hält Jesus und sein Licht reicht über die Zeiten der Glaubenszweifel hinaus. Nicht ohne Grund hat er uns Christen nicht auf einsame Inseln verteilt, sondern uns zu Gemeinden zusammengerufen. Gemeinde ist eine Gemeinschaft, die Jesu Licht bewahrt und sich gegenseitig Hilfe, Ermutigung und Trost in den Tunnelzeiten gibt.

Warum glauben die einen und die andern nicht?

Der Alpha- Kurs ist zum Abschluss gekommen. Es wird vom Evangelisten Johannes nüchtern festgestellt, dass nicht alle Jesus glaubten. Und das ist um so bemerkenswerter, als sie Jesus als Wundertäter erlebt haben und seine göttliche Macht mit eigenen Augen sehen konnten. Wunder können den Glauben nicht wecken, damals nicht und heute nicht.

Ich hatte eine Freundin, die dem christlichen Glauben gegenüber sehr distanziert war. Mit ihrem Baby hatte sie große Sorgen. In der Vorsorgeuntersuchung wurde ein Hörfehler festgestellt. Sie erzählte uns das. Mein Mann und ich beteten sehr intensiv darum, dass Jesus das Baby heilte und sie dadurch seine Liebe hautnah erfahren konnten. Nach kurzer Zeit wurde der Test in der Uniklinik wiederholt, es wurde kein Hörfehler mehr diagnostiziert. Meine Freundin kam dadurch nicht zum Glauben. Für sie war es ein Messfehler, der die Sorgen verursacht hatte. Mich bewegt diese Erfahrung bis heute und manchmal denke ich, was soll Jesus eigentlich noch tun, dass wir endlich auf sein Licht aufmerksam werden? Die Erfahrung lehrt mich auch, dass es keine Patentantworten gibt auf diese Frage.

Wir haben das Glauben oder Nicht- Glauben von anderen nicht in der Hand und können es nicht magisch beschwören. Wir können uns selbst auf den Weg machen, Jesus immer mehr in unser Leben zu lassen, uns von ihm erleuchten zu lassen. Wir können ihm sogar solche Sätze wie diesen zumuten: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben" (siehe  Predigt zu Markus 9,24). Und wir können uns von seiner Liebe durchdringen lassen, um andere dazu einzuladen, für sie zu beten und Jesus zu bitten, dass er sie auf die Begegnung mit ihm vorbereitet.

Nicht alle lassen sich von ihm finden, nicht alle nehmen ihr Tuch von den Augen und bekennen, dass sie allein den Weg zu Gott nicht finden. Aber Jesus gibt sich damit nicht zufrieden. Er fordert uns auf, diesen Menschen nachzugehen, wie er es getan hat, zum Beispiel bei Zachäus.

Jesus ging nach Jericho hinein und zog durch die Stadt. In Jericho lebte ein Mann namens Zachäus. Er war der oberste Zolleinnehmer in der Stadt und war sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei. Aber er war klein, und die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. So lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können; denn dort musste er vorbeikommen. Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und redete ihn an: "Zachäus, komm schnell herunter, ich muss heute dein Gast sein!" Zachäus stieg schnell vom Baum und nahm Jesus voller Freude bei sich auf. Alle sahen es und murrten; sie sagten: "Bei einem ausgemachten Sünder ist er eingekehrt!" Aber Zachäus wandte sich an den Herrn und sagte zu ihm: "Herr, ich verspreche dir, ich werde die Hälfte meines Besitzes den Armen geben. Und wenn ich jemand zuviel abgenommen habe, will ich es ihm vierfach zurückgeben." Darauf sagte Jesus zu ihm: "Heute ist dir und deiner ganzen Hausgemeinschaft die Rettung zuteil geworden! Auch du bist ja ein Sohn Abrahams. Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten." (Lukas 19,1-10)

Cornelia Trick


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