Worauf du dich verlassen kannst
Gottesdienst am 27.08.2000
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Himalaja-Bergeein sehr spannendes Buch fesselt mich gerade. Der Autor Jon Krakauer beschreibt in seinem Buch "In eisige Höhen" seine Expedition zum Mount Everest, schildert die Charaktere der anderen, gibt Auskunft über die Mühen der Tour, auch über Risiken und schließlich Versagen. Eine ganz entscheidende Rolle spielt beim Aufstieg über 8000 m der Sauerstoff. Nur wenige schaffen die Besteigung ohne künstlichen Sauerstoff aus der Flasche. Die meisten sind dringend auf die Flasche angewiesen und wehe, es geht etwas schief, das Ventil vereist, ist zu weit aufgedreht, die Flasche war zu Beginn nicht ganz voll... ein Drama ist die Folge. Wie Sauerstoff für unseren Körper lebenswichtig ist, so ist Gott für unser Leben noch viel umfassender nötig. Deshalb feiern wir den Stadtkirchtag in Bad Soden. Wir wollen unsere Nachbarn auf den Sauerstoff Gottes aufmerksam machen, sie einladen, endlich die Sauerstoffflasche aufzuziehen, bevor es zu spät ist. Was bedeutet für uns Sauerstoff Gottes, was haben wir denn da beim Stadtkirchentag und an jedem gewöhnlichen anderen Tag von Jesus Christus weiterzugeben? Was ist der innerste Kern unseres Glaubens an Jesus Christus?

Ein paar Stichworte, die mir zu diesem innersten Kern des Glaubens einfallen:

  • Ich bin von Gott gehalten, er lässt mich nicht allein.
  • Ich kenne Jesus Christus, wir sind in Kontakt.
  • Im Gebet höre ich, was Gott von mir will.
  • Jesus hilft mir, mich zu verändern und seine Liebe in mir wachsen zu lassen.
  • Mit Gegebenheiten finde ich mich nicht immer ab, Gott ist größer.
  • ... Glaubenserfahrung, die Sie hier anfügen möchten ...
Glaubensaussagen sind schön und gut, eigentlich aufregend wird es ja erst, wenn sie am Montag, Dienstag und Mittwoch greifen. Dann zeigt sich, ob in dem Brot, das Jesus uns gibt, wirklich alles steckt, was wir brauchen. Da heißt es dann, wenn ich bete und auf Gottes Willen höre, kann ich nicht gleichzeitig schon vorher genau wissen, was ich beruflich und privat will. Wenn ich in der Liebe wachse, kann ich mich nicht ständig verweigern, die Hand zur Versöhnung als erste auszustrecken. Wenn ich auf Gott hoffe, kann ich nicht resignieren und aufgeben.

Sicher wussten die Jünger, die mit Jesus durch die Lande zogen, auch, was Jesus ihnen bedeutete. Sie fanden es wichtig, täglich mit Jesus zusammen zu sein, seine Kraft zu spüren, von ihm zu lernen und mit dem eigenen Leben in Ordnung zu kommen. Doch bei den Jüngern war es letztlich wie bei uns. Ihr Bekenntnis zu Jesus musste sich im Alltag bewähren. Eine Episode im Leben Jesu zeigt, wie hart der Glaube und die Wirklichkeit aufeinander getroffen sind. Und wie das Glaubensbekenntnis in Frage gestellt sein konnte: Worauf du dich verlassen kannst?

Markus 9,14-29

Als Jesus und die drei Jünger vom Berg der Verklärung zu den anderen Jüngern zurückkamen, fanden sie diese im Streit mit einigen Gesetzeslehrern und umringt von einer großen Menschenmenge. Sobald die Menschen Jesus sahen, gerieten sie in Aufregung; sie liefen zu ihm hin und begrüßten ihn. Jesus fragte sie: "Was streitet ihr mit meinen Jüngern?" Ein Mann aus der Menge gab ihm zur Antwort: "Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht; er ist von einem bösen Geist besessen, darum kann er nicht sprechen. Immer, wenn dieser Geist ihn packt, wirft er ihn zu Boden. Schaum steht dann vor seinem Mund, er knirscht mit den Zähnen, und sein ganzer Körper wird steif. Ich habe deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie konnten es nicht."
Da sagte Jesus zu allen, wie sie dastanden: "Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut! Wie lang soll ich noch bei euch aushalten und euch ertragen? Bringt den Jungen her!" 
Sie brachten ihn zu Jesus. Sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er das Kind hin und her; es fiel hin und wälzte sich mit Schaum vor dem Mund auf der Erde. "Wie lange hat er das schon?" frage Jesus. "Von klein auf", sagte der Vater, "und oft hat der böse Geist ihn auch schon ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!" "Was heißt hier: 'Wenn du kannst'?" sagte Jesus. "Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich." Da rief der Vater: "Ich vertraue ihm ja - und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!" Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen; da sagte er drohend zu dem bösen Geist: "Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Fahr aus aus diesem Kind und komm nie wieder zurück!" Der Geist schrie anhaltend und zerrte den Jungen wie wild hin und her, dann fuhr er aus ihm aus. Der Junge lag wie leblos am Boden, so dass die Leute schon sagten: "Er ist tot." Aber Jesus nahm ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. 
Als Jesus später im Haus war, fragten ihn seine Jünger: "Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?" Er gab ihnen zur Antwort: "Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden."

Diese merkwürdige Begegnung hatte eine Vorgeschichte. Jesus war mit drei Jüngern auf einen Berg gestiegen. Sie hatten dort eine Offenbarung Gottes erlebt, sie hatten die Stimme Gottes gehört, sie empfanden sich wie ins Paradies versetzt. Schwer fiel ihnen der Abstieg ins Tal und in den Alltag. Am liebsten hätten sie dort oben Hütten gebaut und wären in der Gottesnähe geblieben. So tauchten sie am Fuß des Berges auch gleich wieder in das alltägliche Spannungsfeld zwischen Glaube und Unglaube ein, die Jünger standen umringt von einer Menschenmenge und konnten nicht heilen. So geht uns das doch auch manchmal. Wir erleben Zeiten größter Gottesnähe, wo wir erfahren, Gott meint uns wirklich, er kümmert sich um uns, er reißt unsere Grenzen auf und verändert unser Leben. Und dann brechen wir wieder ein, erleben Widerstände, Enttäuschung, der Gottesweg hat sich vielleicht als Sackgasse herausgestellt und wir wissen nicht, wozu das gut sein soll. Mächte und Gewalten greifen nach uns wie nach diesem Jungen am Fuß des Berges, die uns durchschütteln und alle gewonnene Ruhe wieder rauben.

Jesus kam also mit seinen drei Begleitern zu der Menschenmenge. Im Mittelpunkt stand ein Vater, der seinen Sohn zu den Jesusjüngern brachte. Er wird von Jesus gehört haben und wollte nichts unversucht lassen, um seinen Sohn zu retten. Der Junge war von einer Macht besessen, die gegen Gott kämpfte. Die Krankheit des Jungen war demnach nicht "bloß" eine Krankheit, sondern der Junge war Kampfplatz von Gott und Satan. So wird auch deutlich, warum die Theologen Interesse an diesem Jungen hatten. Sie wollten mal sehen, ob die Jesusjünger auf Gottes Seite standen und die Krankheit besiegen konnten. Im Abstand warteten sie ab, was geschehen würde und waren sicher die ersten, die brüllten "Versager!", als die Heilung ausblieb. Die Jünger selbst waren nicht ungeübt im Heilen. Kurze Zeit vorher hatte Jesus sie ausgesandt, um Menschen von Gottes Reich und seinem Gericht zu erzählen, sie zur Umkehr aufzufordern und zu einem neuen Leben mit Gott einzuladen. Dabei haben sie Menschen geheilt als sichtbares Zeichen der neuen Zeit, die mit Jesus Christus angebrochen ist. Aber in dieser ganz konkreten Herausforderung konnten sie nichts bewirken. Jesus war zu weit weg auf dem Berg.

Eine solche Situation wie damals ist uns vielleicht gar nicht so fremd. Da kommt eine Bekannte zu Ihnen und schüttet ihr Herz aus. Sie erzählt von ihrem Mann, der kurz vor der Kündigung steht. Sie packt aus, dass es in ihrer Ehe auch schon länger nicht mehr stimmt und sie einfach nichts mehr für ihren Mann empfinden kann. Sie schließt mit der Feststellung, dass sowieso alles ausweglos ist. Und nun sind Sie als Christ und Christin gefragt. Wird Ihr Zeugnis von Jesus Christus bei der Bekannten ankommen? Wird sie die Hand Jesu ergreifen? Wird ihr Vertrauen Halt finden, dass sie Heilung erfährt? Vielleicht stehen ja auch andere drumherum, die sich heimlich ins Fäustchen lachen, wenn sie keinen Halt findet, sondern abstürzt.

Eine andere Situation unserer Tage. Sie fahren S-Bahn. Ein paar Leute pöbeln Ihren Nachbarn an. Die Mitfahrenden schauen weg, die nächste Haltestelle ist weit. Was machen Sie? Sich einmischen im grenzenlosen Vertrauen, dass Gott Ihnen jetzt hilft? Oder spüren Sie auch die Ohnmacht der Jünger - Sie wollen mit Gottes Kraft aufstehen und dem Treiben Einhalt gebieten, doch da ist kein Mut und keine Kraft - Jesus scheint weit weg zu sein.

In solche Erfahrungen kommt Jesus mitten hinein und ruft erschüttert aus: "Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut?" Damals kritisierte er zuerst seine Nachfolger. Sie standen vor dem Jungen und waren ohnmächtig. Vertrauen zu Gott wäre der Schlüssel zum Erfolg gewesen. Jesus kritisierte aber auch den Vater des Jungen. Auch er hatte offensichtlich so wenig Vertrauen in Gottes Liebe, dass er einen Wunderheiler (in seinen Augen war Jesus einer von vielen Wunderheilern) bemühen wollte. Jesus kritisierte schließlich auch die Theologen. Schadenfreude im sicheren Abstand ist das Letzte! Und haben die Theologen nicht gemerkt, dass es hier um Gott oder Teufel ging - dass eine Stellungnahme für Gott dringend erforderlich war?

Auf unser Leben übertragen: Ohnmachtssituationen sind immer Vertrauenskrisen. Es ist wohl - wie wir an den Jüngern sehen - normal, sie zu haben. Aber wir brauchen uns nicht damit abzufinden. Wir brauchen nicht vorschnell aufzugeben und uns mit Argumenten beruhigen: Gott will nicht, dass ich eingreife, Gott will nicht, dass geholfen wird, Gott will nicht, dass ich im S-Bahn-Zug aufstehe.

Der Vater sagt ganz ehrlich: "Ich vertraue ja Gott - und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!" Und auf diese ehrliche Bitte reagiert Jesus, er hilft zu vertrauen, er heilt das Kind.

Auch das ist eine Alltagssituation. Ich sehe den Weg in die Zukunft nicht, ich will mich ganz auf Gott verlassen und doch bohren Stimmen in mir, die mir einreden, dass ich den Weg schon selbst finden muss. Meine ehrliche Bitte: Jesus, hilf mir vertrauen! Ich kann meine Kinder nicht vor allem bewahren. Ich kann sie nicht zu Christen machen, auch wenn ich das gerne täte. Ich möchte sie wirklich Gott anvertrauen und doch will ich sie auch festhalten: Jesus, hilf mir vertrauen!

Dieses sehr persönliche Gespräch zwischen Jesus und dem Vater ist Vorbild für uns. Vertrauen ist alles, was Jesus von uns erwartet - Vertrauen, dass Gott auf der Seite des Lebens steht und uns vor dem Untergang und vor dem Bösen bewahren will. 

Welche Haltung korrigiert Jesus nun?

  • Er korrigiert unseren Wunsch, alles aus uns selbst machen zu wollen. Die Jünger konnten den Jungen trotz ihrer Übung nicht heilen, wir können mit Gottes Kraft nicht wirken, wenn die Verbindung zu Gott unterbrochen ist.
  • Er korrigiert unseren Wunsch, den richtigen Glauben vor Zuschauern zu demonstrieren. Die Jünger hätten die umstehenden Theologen mit einer Wunderheilung gut überzeugen können. Aber sie gelang nicht. Denn der Junge stand nicht im Mittelpunkt, sondern der Wunsch nach Anerkennung und Macht.
  • Er korrigiert die Selbsteinschätzung, einen festen Glauben zu haben, der nicht ins Schwanken kommt. Glaube und Unglaube, beides lebt in uns wie in dem Vater des Jungen. Den Unglauben können wir nur überwinden, wenn wir uns Jesus anvertrauen und ihn ehrlich bitten: Hilf mir zu vertrauen.
  • Er korrigiert auch eine Haltung, die Gott nichts zutraut. Als ob Gottvertrauen bedeutet, sich mit den Gegebenheiten möglichst schnell abzufinden. Gott kann Großes tun wie bei dem Jungen und er tut es immer wieder auch in unserer Gemeinde und in unserer Stadt. Weil Gott Menschen liebhat und sie einlädt zu einer Lebensgemeinschaft mit ihm, wird Großes passieren und die Mächte und Gewalten werden besiegt werden.
  • Eine Korrektur am Ende der Begegnung lässt uns noch einmal aufhorchen. Jesus sagt zu seinen Jüngern: "Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden." Gebet drückt diese innige Gemeinschaft mit Gott aus, Gebet ist wie der Wurzelgrund unseres Lebens, durch den wir Nahrung aufnehmen und Kraft bekommen uns zu entfalten. Ein gebetsloses Leben gleicht einem Baum mit trockenen Wurzeln, der kleinste Sturm haut ihn um. Diese Wurzeln - das Gebet allein und in Gemeinschaft - sind die Hilfe, die wir bekommen, damit der Glaube den Alltag durchdringt und verändert und der Unglaube nicht die Oberhand gewinnt.
Die Begegnung am Fuß des Berges der Verklärung bringt uns ins Zentrum des Evangeliums. Gott steht auf der Seite des Lebens und will auch uns herausreißen aus den Fängen des Bösen. Er gibt uns Sauerstoff für unser Leben. Alles ist möglich dem, der Gott vertraut und ihm etwas zutraut. Gemeinschaft mit Gott im Gebet und im Alltag ist Nahrung. Sie gibt uns Widerstandskraft für alles, was auf uns zukommt, und macht uns unseres Glaubens immer wieder gewiss.
Das lohnt sich weitergegeben zu werden am Stadtkirchentag und an jedem Tag - das erfüllt mit Freude und Dankbarkeit.
Cornelia Trick


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