Zwischen den Stühlen
Gottesdienst am 07.03.2004

1.Mose 16,1-15

Abrams Frau Sarai blieb kinderlos. Sie hatte aber eine ägyptische Sklavin namens Hagar. So sagte sie zu ihrem Mann: "Du siehst, der HERR hat mir keine Kinder geschenkt. Aber vielleicht kann ich durch meine Sklavin zu einem Sohn kommen. Ich überlasse sie dir." Abram war einverstanden und Sarai gab ihm die ägyptische Sklavin zur Frau. Er lebte damals schon zehn Jahre im Land Kanaan. Abram schlief mit Hagar, und sie wurde schwanger. Als sie merkte, dass sie ein Kind bekommen würde, begann sie auf ihre Herrin herabzusehen. Da sagte Sarai zu ihrem Mann: "Mir geschieht Unrecht, und du trägst dafür die Verantwortung! Ich habe dir meine Sklavin überlassen. Seit sie weiß, dass sie ein Kind bekommt, verachtet sie mich. Ich rufe den HERRN als Richter an!" Abram erwiderte: "Sie ist deine Sklavin. Mach mit ihr, was du willst!" Sarai ließ daraufhin Hagar die niedrigsten Arbeiten verrichten; da lief sie davon. In der Wüste rastete Hagar bei dem Brunnen, der am Weg nach Schur liegt. Da kam der Engel des HERRN zu ihr und fragte sie: "Hagar, Sklavin Sarais! Woher kommst du? Wohin gehst du?" "Ich bin meiner Herrin davongelaufen", antwortete sie. Da sagte der Engel: "Geh zu deiner Herrin zurück und ordne dich ihr unter! Der HERR wird dir so viele Nachkommen geben, daß sie nicht zu zählen sind. Du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismaël (Gott hat gehört) nennen; denn der HERR hat deinen Hilferuf gehört. Ein Mensch wie ein Wildesel wird er sein, im Streit mit allen und von allen bekämpft; seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht." Hagar rief: "Habe ich wirklich den gesehen, der mich anschaut?" Und sie gab dem HERRN, der mit ihr gesprochen hatte, den Namen "Du bist der Gott, der mich anschaut". Darum nennt man jenen Brunnen Beer-Lahai-Roi (Brunnen des Lebendigen, der mich anschaut). Er liegt zwischen Kadesch und Bered. Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte ihn Ismaël.

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
letzten Sonntag sind wir mit Abraham und Sara aufgebrochen ins verheißene Land. Wir wurden hinein genommen in Abrahams Vertrauen auf Gott. Er ließ sich auf Gott ein und erfuhr Gottes Führung. An den Wegabschnitten baute er Altäre als Erinnerungszeichen, dass Gott ihm bis dorthin geholfen hatte, aber auch als neue Motivation, die nächste Etappe anzugehen.

Abraham hatte das verheißene Land erreicht, doch Nachkommen, die ihm ja genauso verheißen waren, stellten sich noch immer nicht ein. Gott hörte die Zweifel, er bekräftigte die Verheißung, doch es vergingen 11 Jahre, wer würde da nicht langsam die Hoffnung verlieren? Schließlich war Abraham 86 Jahre alt und seine Frau nicht viel jünger.

Schauen wir uns den Stuhl an, auf dem Sara sitzt. Sie hat die Hoffnung aufgegeben, noch Kinder zu bekommen. Ihre Enttäuschung können wir nachempfinden. Sie sollte die Ahnfrau werden, stattdessen muss sie feststellen, dass sie den Erwartungen nicht genügen kann und der Norm einer fruchtbaren Frau, die ihrem Mann viele Kinder schenkt, nicht entspricht. Sie kann sogar ins Grübeln kommen, ob sie es nicht ganz persönlich ist, die den Verheißungen Gottes im Wege steht. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass manch ein Vorwurf in diese Richtung von ihrem Mann Abraham kam. Sara ist mit ihrer Geduld am Ende.

Zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen, tun sich vor ihr auf. Sie kann resignieren, die Freundschaft mit Gott aufkündigen und ihre Hoffnungen begraben. Am Ende ihres Lebens muss sie sich eingestehen, auf eine falsche Hoffnung hin gelebt zu haben, es würde ihr wohl das Herz brechen. Die zweite Möglichkeit scheint Sara näher zu liegen. Sie beschließt, mit Gottes Verheißung kreativ umzugehen. Schließlich scheint Gottes Weg mit ihr festzustehen: "Du siehst, der Herr hat mir keine Kinder geschenkt." Sie denkt über ein "vielleicht" nach. In ihrer Umgebung war es üblich, dass auch Sklavinnen ihrem Herrn Kinder schenken konnten. Sie brachten sie auf dem Schoß der Herrin zur Welt, so dass die Nachkommen als von der Herrin auf die Welt gebracht angesehen wurden. Warum sollte sich Sara diese Regelung nicht zunutze machen? Wenn alle anderen es so machten, warum nicht auch sie? Die Sklavin Hagar aus Ägypten schien ihr die Richtige zu sein.

Wir spüren an dieser Stelle Unbehagen. Aber es ist nicht nur das Unbehagen, dass Sara hier eine "Ehe zu dritt" einführt. Der Eindruck lässt uns stutzig werden, dass Sara hier eine Frau zu einem bloßen Instrument für ihre Pläne macht. Die Frau ist Mittel zum Zweck, um selbst an Kinder zu kommen und damit Gott endlich auf die richtige Schiene zu bringen. Unsere Solidarität ist in diesem Moment nicht mehr bei der kinderlosen Frau, die um ihre Kinderlosigkeit trauert, sondern bei der Sklavin, die wie eine Maschine behandelt wird, um Produkte zu fertigen. Wir halten die Luft an und schauen auf den anderen Stuhl, zu Abraham. Er wird Saras Gedanken doch hoffentlich zurecht rücken und ihr neuen Mut machen, auf Gottes Verheißung zu vertrauen.

Doch Abraham willigt ein. Er lässt Saras Vorschlag passiv über sich ergehen. Man hat fast den Eindruck, er ist an diesen Plänen Saras gar nicht beteiligt, als würde Sara ihm vorschlagen, dass sie einen Einkaufsbummel macht und dabei ein Kind ersteht und er zu Hause bleiben darf.

Und Hagar? Sie sieht ihre große Stunde gekommen. Aus der Schar der Dienstmädchen im Haushalt darf sie sich herauslösen und Abraham den lang ersehnten Nachkommen schenken. Welche Macht wird ihr da zugestanden. Sie hat etwas vorzuweisen, was ihre Herrin nicht kann. Sie wird ihre Stellung verbessern, ihr Ansehen wird steigen, die Herrin ist von ihr abhängig und kann sich nicht mehr alles mit ihr erlauben, sogar ihre Alterssicherung scheint so gewährleistet zu sein. Sie, Hagar, wird man doch nicht fortschicken. Kein Wunder, dass sie sich ihren Triumpf anmerken lässt.

Die beiden Frauen geraten in einen Kleinkrieg. Sara wollte doch nichts, als die Verheißung Gottes endlich auf den Weg bringen. Der Preis dafür ist nun hoch, sie, die Herrin, wird gedemütigt, der häusliche Friede hängt schief. Sie muss erneut die Erfahrung machen, dass sie nichts wert ist, weil sie keine Kinder bekommen kann. Nicht nur ihr Ehemann kann ihr das vorwerfen, sogar ihr Dienstmädchen lässt es sie spüren.

Abrahams Verhalten ist auch sehr merkwürdig. Er hätte doch gleich bei Saras Vorschlag aufschreien müssen. Schließlich hatte er doch Gott gehört, der ihm und Sara die Nachkommen verheißen hatte. Von Hagar redete Gott nicht. Doch Abraham entzieht sich der Stellungnahme, geht auf Saras Idee ein und weist jede Verantwortung von sich, als Sara ihn im Kleinkrieg mit Hagar zur Stellungnahme herausfordert. Er geht den Weg des geringsten Widerstands.
Die Konsequenz ist klar: Hagar sitzt zwischen den Stühlen. Von Sara wird sie fertig gemacht, von Abraham fallen gelassen, sie ist wieder die rechtlose Sklavin ohne Wert und keiner erbarmt sich ihrer.

Zwischen den Stühlen

Eine Situation zwischen den Stühlen erlebt so manche Frau und mancher Mann in dieser Zeit.
Die Frau, die dem Mann glaubt, der sagt, dass er sich gerade von seiner Frau trennt, die er nie geliebt hat... und nach Monaten der Vertröstungen speist er sie ab mit den Worten "Ich werde mich nie von meiner Frau trennen wegen der Kinder".

Der Mann, der sich für seinen Beruf abgerackert hatte und nach Jahren der Firmenzugehörigkeit gekündigt wurde mit den Worten "Es tut uns Leid, wir haben keinen Platz mehr für sie in der neuen Struktur".

Die Freundin, die sich viele Lebensprobleme angehört hatte, bis sie selbst in eine Notlage gerät und Hilfe braucht, aber die schmerzliche Antwort erhält "Leider kann ich mich nicht um dich kümmern, ich bin mit meinen eigenen Problemen beschäftigt."

Die Familienfrau, die die Kinder großgezogen hat und dem Mann den Rücken freihält, wird eines Tages mit dem Satz konfrontiert: "Ich liebe eine andere und ziehe aus."

Hagar ist eine sehr lebendige Frau unserer Tage. Sie ist ausgemustert, gedemütigt, benutzt und weggeschmissen.

Diese alte Geschichte ist erzählt, um uns Gottes Liebe zu Menschen "zwischen den Stühlen" nahe zu bringen. Sie soll uns ermutigen und trösten, wenn wir uns selbst "zwischen den Stühlen" wiederfinden. 

Hagar flieht in die Wüste. Es ist der Ort, der ihre Zukunft widerspiegelt. Öde und leer wird es um sie sein, wenn sie ihr Kind zur Welt gebracht hat. Vielleicht darf sie es nie im Arm halten. Es wird erzählt, dass sie an einem Brunnen rastet. Er steht hier für Lebendigkeit und Lebensmut, neue Kraft und Zukunft inmitten der Trostlosigkeit. Auf einmal ist sie nicht mehr allein mit ihrem Kummer. Ein Engel Gottes stellt sich zu ihr. Er bringt ihr eine Gottesbotschaft. Viele Nachkommen wird auch sie haben, die nicht zu zählen sind. Ihr Kind wird ein Sohn sein, dem sie den Namen Ismael geben soll.

Der Name ist Programm: "Gott hat gehört", das will Gott ihr mit diesem Jungen fest zusagen. Ismael, so die Worte des Gottesboten, wird sich dem verheißenen Nachkommen Abrahams und Saras nicht unterordnen wie Hagar. Er wird seine eigene Sippe gründen und eigenes Land haben. Doch der Gottesbote stellt eine Bedingung. Er fordert Hagar auf, zurückzukehren zu dem Ort ihrer Demütigung. Sie soll ihr altes Leben wieder aufnehmen, aber unter neuer Perspektive.

Verschiedene Deutungen dieser Rückkehr sind möglich. Vielleicht war es eine Chance, den Kleinkrieg im Haus Abrahams zu befrieden. Vielleicht war es ein Test, ob Hagar dem Gott wirklich vertraute, der in der Wüste am Brunnen zu ihr sprach. Vielleicht war es auch eine versteckte Botschaft an Abraham, ihn nicht so einfach aus der Verantwortung für Ismael zu entlassen. Seine Passivität und seine Taubheit gegenüber Gott nicht dadurch zu belohnen, dass Hagar und Ismael wie durch ein Wunder verschwinden. Jedenfalls hört Hagar auf den Boten und nimmt sich seine Worte zu Herzen. Sie gibt Gott einen Namen: "Du bist der Gott, der mich anschaut." und bezeugt dadurch ihr Vertrauen und Einverständnis, Gottes Willen zu folgen. 

Von Jesus wird eine ganz ähnliche Geschichte erzählt (Johannes 4). Er traf eine Frau an einem Brunnen. Es war wie Hagar eine Frau zwischen den Stühlen. Und wie der Gottesbote brachte er dieser Frau Gottes Erbarmen über ihr Leben nahe. Er lud sie ein, ihm zu vertrauen und ihren Wert zu finden, den sie bei ihren Männergeschichten verloren hatte. Lebendiges Wasser gab er ihr, ein Sinnbild für eine neue Beziehung zu Gott und die Erfahrung von Jesus wertgeachtet zu werden. 

Jesus trifft Sie, wenn Sie zwischen die Stühle geraten, fallen gelassen worden sind, ausgebremst wurden, sich auf der Flucht befinden. Er sagt zu denen, die zwischen den Stühlen sitzen: Du kannst Frieden mit Gott schließen, du hast einen festen Platz in der Gemeinde, es erwartet dich ein erfülltes Leben mit Gott und für Gott. Diese Begegnung ist lebensverändernd. Denn sie reißt heraus aus den zwischenmenschlichen Demütigungen und Schlägen. Sie setzt das Leben in eine ganz neue Perspektive. Es geht nicht um die Rangfolge, um ein sich Behaupten, um den nackten Überlebenskampf, sondern um die Verheißung, die Gott auf mein Leben legt und mit der er mich beschenkt. Diese Verheißung steht nicht nur den besonders Auserwählten wie Abraham und Sara zu, sondern auch dem Dienstmädchen Hagar, Ihnen und mir. Sie drängt uns in die Zukunft und eröffnet uns die Chance, sinnvoll und wertgeachtet unseren Alltag zu leben.

Allerdings reißt diese Verheißung nicht gleich aus allen schwierigen Verhältnissen. Hagar musste zurückkehren. Die Frau muss sich mit dem Mann auseinandersetzen, der sie nicht heiraten will. Der arbeitslos Gewordene muss sich nach einer neuen Stelle umschauen, was ihm viel Frust einbringen wird. Die Freundin braucht Hilfe, auch wenn die andere keine Zeit für sie hat. Die Familienfrau muss ihren Alltag neu gestalten ohne die Hilfe und Liebe ihres Mannes. Doch in diesen schwierig bleibenden Verhältnissen ist Jesus mittendrin, der Kraft schenkt, der uns Selbstachtung gibt und der uns ganz konkret zeigt, was wir Sinnvolles für Gott und mit Gott tun können, das uns seine Liebe spüren lässt.

Und Sara und Abraham? Wir hören von keinem Strafgericht über ihnen. Gott spricht noch nicht einmal zu ihnen. Hält er sich aus Saras Familienplanung heraus? Lässt er Abraham teilnahmslos in der Sonne dösen? Ich empfinde Gottes Schweigen schmerzhaft. Sara und Abraham fragen nicht und sie werden nicht angesprochen. Ich kenne solche Situationen, in denen ich lieber nicht nach Gottes Willen gefragt habe auf meinen selbstgewählten, ungeduldigen Wegen. Leider hörte ich auch kein machtvolles Nein vom Himmel, das mich noch zur rechten Zeit aufgehalten hätte. Die Konsequenz meines Tuns fiel voll und ganz auf mich selbst zurück, ich konnte sie nicht ungeschehen machen und habe daraus gelernt. Es waren für mich wichtige Erfahrungen, dass Jesus sich nicht ungefragt einmischt und jeweils aktiv wird, wenn ich ihm eigentlich ein Mitspracherecht verweigert habe. Und wenn die Konsequenz auf mich zurück gefallen ist, dann habe ich allerdings erlebt, wie Jesus barmherzig mit mir umgegangen ist und mir geholfen hat, die Scherben wegzuräumen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Geschichte, die Abraham so gar nicht strahlen lässt, uns zur Warnung überliefert ist. An den Verheißungen Gottes, die in Jesus so ganz nah zu uns gekommen sind, sollen wir festhalten. Mit Jesus sollen wir im Gespräch bleiben und uns daran halten, was er von uns will. Nicht immer ist das leicht zu erkennen, manchmal sind wir versucht, wie Sara kreativ zu werden. Dann hilft die Rückfrage: Herr, was willst du? Und er wird uns nicht allein lassen, er wird uns nachgehen, sogar bis in die Wüste.

Ich höre aus den Worten der Bibel die große Liebe Gottes zu seinen Kindern. Wie der Apostel Paulus möchte ich in Erinnerung behalten: "Der Herr ist treu, der euch berufen hat, er wird euch (auf dem Weg bereit machen) und vollenden" (nach 1 Thessalonicher 5,24).

Cornelia Trick


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