Kraft zum Neuanfang, Teil 1: Wie geht es meiner Gemeinde?
Gottesdienst  am 23.01.2000
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
wenn ich mal ein richtig gutes Buch zur Hand nehme, dann wähle ich meistens eine Biographie. An dem Lebenszeugnis eines anderen werde ich an mein eigenes Leben erinnert. Ich lerne aus Erfahrungen und hoffe, das Gelernte in einer ähnlichen Situation anwenden zu können. Biographien von Christen machen mir Mut, in jeder Lebenslage Jesus Christus zu vertrauen und von ihm alles zu erwarten. Biographien von Christen machen mich aber auch oft aufmerksam auf meine Schwachpunkte. Sie lehren mich, meine Fehler rechtzeitig einzugestehen und meine Wege zu korrigieren. Als ich über ein mögliches Thema für unseren heutigen Gottesdienst nachdachte, kam mir eine sehr bewegende Biographie aus der Bibel in den Sinn. Ein Mann beschreibt sein Lebenswerk und damit Gottes Geschichte mit seinem Volk Israel. Ich bin überzeugt, dass dieses Lebenszeugnis auch in unsere Situation hinein spricht. Neuenhain, am Anfang des Jahres 2000, das viel unspektakulärer begann als erwartet. Und doch die Gemeinde Neuenhain auf der Schwelle in die Zukunft und angewiesen auf Orientierung.
Wir werden nicht nur heute Nehemia zu uns sprechen lassen, sondern sein Zeugnis auch am nächsten Sonntag bedenken können. Und so hoffe ich: Wir werden bewegt wie Nehemia seinerzeit und können dann mit Nehemia bekennen "Die Freude am Herrn ist unsere Stärke!"

Nehemia war ein Gastarbeiter in Babylonien, seine Eltern oder Großeltern wurden bei der Zerstörung Jerusalems am Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus nach Babylonien deportiert. Seitdem lebte die Sippe dort und Nehemia hatte es immerhin zum Kellner am königlichen Hof gebracht. Hier beginnt seine Autobiographie, niedergeschrieben in Nehemia 1,1-11

Nehemia 1,1-11

Dies ist der Bericht von Nehemia, dem Sohn von Hachalja: Im 20. Regierungsjahr des Perserkönigs Artaxerxes, im Monat Kislew, war ich in der königlichen Residenz Susa. Da kam Hanani, einer meiner Brüder, mit einigen Männern aus Judäa zu mir. Ich fragte sie, wie es den Juden dort gehe, den Überlebenden, die nicht verschleppt worden waren, und erkundigte mich nach dem Zustand Jerusalems. Sie berichteten mir: "Die Menschen in der Provinz Juda, die der Verschleppung entgangen sind, leben in großer Not und Schande. Die Stadtmauer Jerusalems liegt in Trümmern, die Tore sind durch Feuer zerstört." Als ich das hörte, setzte ich mich nieder und weinte. Tagelang trauerte ich, fastete und flehte den Gott des Himmels an. Ich betete: "Ach HERR, du Gott des Himmels, du großer und ehrfurchtgebietender Gott! Du stehst in unerschütterlicher Treue zu deinem Bund und zu denen, die dich lieben und nach deinen Geboten leben. Sieh mich, deinen Diener, freundlich an, und habe ein offenes Ohr für mein Gebet! Tag und Nacht flehe ich zu dir für die Menschen, die dir dienen, dein Volk Israel! Ich bekenne dir die Sünden, die wir Israeliten gegen dich begangen haben. Wir haben Unrecht getan; auch ich und meine Verwandten haben sich verfehlt. Wir haben große Schuld auf uns geladen: Wir haben die Gebote und Gesetze missachtet, die du uns durch Mose, deinen Diener und Bevollmächtigten, gegeben hast. Aber denk doch daran, dass du ausdrücklich zu deinem Diener Mose gesagt hast: 'Wenn ihr mir untreu werdet, will ich euch unter die fremden Völker zerstreuen; wenn ihr aber zu mir zurückkehrt, auf meine Gebote achtet und sie befolgt, werde ich sogar die, die ich bis ans äußerste Ende der Erde verstoßen habe, von dort zurückholen. Ich will sie heimbringen an den Ort, den ich erwählt und zum Wohnsitz meines Namens bestimmt habe.' So hast du gesagt - und sie sind ja trotz allem deine Diener, dein Volk, das du einst durch deine große Macht und mit deiner starken Hand aus Ägypten befreit hast! Ach Herr, erhöre mein Flehen und das Flehen aller, die dir bereitwillig und voll Ehrfurcht dienen! Lass mich doch heute Erfolg haben und hilf, dass der König mir gnädig ist!" Ich war nämlich der Mundschenk des Königs.

In groben Zügen möchte ich die nächsten Ereignisse zusammenfassen: Der König lässt sich bei einem Essen von Nehemiazerstörte Stadtmauer bedienen und bemerkt dessen Sorgen. Er fragt nach. Nehemia schickt ein kurzes Stoßgebet zum Himmel und schüttet ihm sein Herz aus. Er bittet den König, die mehr als 1000 km entfernte Stadt Jerusalem wieder aufbauen zu dürfen. Er darf, bekommt Passierscheine und Berechtigungsscheine für Baumaterial und reist mit einer kleinen Schutztruppe nach Jerusalem. Dort angekommen wartet er erst einmal drei Tage ab, erkundet dann bei Dunkelheit den Zustand der Mauer und ist tief bekümmert über alle Trümmer, die er sieht. Er ruft die einflussreichsten Leute zusammen, die nach der Deportation in Jerusalem noch übrig waren, erzählt ihnen von Gottes Führungen.und eröffnet seinen Plan. Die Leute lassen sich begeistern, packen sofort an und die nun folgende Liste der Bauleute lässt erahnen, wie Gottes Hand auch sie bewegt hat.

Aber bevor ich die ganze Biographie erzähle, nochmal zurück zum Ausgangspunkt. Die Stadt Jerusalem ist verwüstet. 1/3 der Bevölkerung wurde nach Babylonien verschleppt, der Rest lebt seit fast 2 Generationen in Trümmern. Die Bilder von verwüsteten Städten kennen wir von den täglichen Nachrichten. Und wie Leute, die seit Jahren in Trümmern ohne Perspektive leben müssen, aussehen, das können wir uns sicher auch ganz gut vorstellen, resigniert, hoffnungslos. Die junge Generation konnte sich an die frühere Pracht der Hauptstadt nicht mehr erinnern, sie war abgestumpft ohne Kraft zur Veränderung.
Da geschieht ein neuer Anfang mit einem Gastarbeiter, einem Kellner am Königshof von Susa. Er bekommt seinen Bruder und ein paar Leute aus der alten Heimat zu Besuch. Seine dringendste Frage gilt der Gemeinde: "Wie geht es meiner Gemeinde?" Sie berichten von ihrem traurigen Zustand. Hierauf bricht Nehemia nicht in Appelle oder Anklagen aus, sondern er weint, trauert und wendet sich mit seiner Not an Gott im Gebet. Nehemia hat trotz der langen Trennung von der Heimat die Verbindung zu seiner Gemeinde nicht verloren. Es schneidet ihm ins Herz, vom Zustand dort zu hören. Der Neuanfang in Jerusalem beginnt ganz zart ohne Pauken und Trompeten:
Einer ist mit Leib und Seele bei seiner Gemeinde, sie ist sein Lebensinhalt, obwohl er 1000 km von ihr getrennt ist. Weil er mit dieser Gemeinde verbunden ist, ist ihr Leid auch sein Leid.
So wendet sich dieser eine umgehend an den Herrn der Gemeinde, er macht sich durch Fasten bereit für eine Begegnung mit Gott, er erinnert Gott an seinen Bund mit dem Volk Israel und bittet um ein offenes Ohr für sein Gebet. Er gesteht Schuld ein, obwohl der doch persönlich als Nachgeborener im Ausland gar keine Schuld begangen haben kann. Er erinnert Gott an seine Barmherzigkeit und an sein Handeln in der Geschichte.
Einer ist mit Leib und Seele bei seiner Gemeinde, er wendet sich an den Herrn der Gemeinde und er stellt sich zur Verfügung "gib mir heute Erfolg".
Nehemia hat damit Vorbildfunktion für alle bekommen, die in der Gemeinde Gottes leben - sei es die Jerusalemer Gemeinde des jüdischen Gottesvolkes, sei es die Gemeinde Jesu Christi, die er zusammengerufen hat. Was Nehemia erlebte, hat Aussagekraft bis heute.
So steht auch für uns hier ein Neuanfang im Jahr 2000 an. Schon die einfache Frage: Wie geht es meiner Gemeinde? zeigt, dass das nötig ist. Sicher, hier sind keine Mauern eingefallen, keine Türen verbrannt und unser kaputt geschlagener Schaukasten ist auch wieder repariert. Aber schauen wir doch mal, was Mauern um die Gemeinde im übertragenen Sinne bedeuten. Sie stehen für zweierlei. Erstens schaffen sie nach innen Geborgenheit. Von Mauern umgeben fühlen wir uns sicher, können wir Gemeinschaft entwickeln und Heimat finden. Säßen wir hier auf einem zugigen Platz - früher hieß dieser Ort ja Altkönigblick, als noch kein Haus hier in der Straße stand - wir würden die Mauern ganz schön vermissen. Unsere Gemeinde könnte nicht sesshaft werden und nichts gestalten, sie hätte keinen Schutz bei Regen und Kälte. Zweitens schaffen Mauern eine Grenze. Hier ist die Gemeinde, die Jesus Christus zusammengerufen hat. Jenseits der Mauern ist die sogenannte Welt, Menschen, die wir einladen möchten, Menschen, die in vornehmer Distanz bleiben, Menschen, die sich von Jesus Christus abgewandt haben. Hier - in den Mauern der Gemeinde - können wir üben, was wir für unseren Einsatz in der Welt brauchen. 
Wie geht es unserer Gemeinde? Vielleicht sind die Mauern doch nicht so intakt, wie es nach außen aussieht. Mancher mag die Geborgenheit vermissen. Er fühlt sich manchmal den Stürmen des Lebens ziemlich ausgesetzt und findet keinen Halt in der Gemeinde. Manche mag aber auch die Grenzen vermissen. Was gilt für Christen heute und was nicht? Wo ist christliches Bekenntnis und christliche Lebensführung gefragt und wie sieht sie aus? Macht jeder seine eigenen Regeln oder gibt es etwas Verbindendes?
Wie geht es unserer Gemeinde? Doch - es zeigen sich Risse in den Mauern - gut, dass noch nicht alles zerstört ist, noch ist Zeit für einen neuen Anfang.
Spannend ist nun unsere Reaktion auf die Standortbestimmung. Leicht könnte man sagen - so ist es halt, da kann man nichts machen, Not gab es immer. Aber nehmen wir Nehemia zum Vorbild, so müsste die Reaktion anders aussehen. Wir lassen uns persönlich berühren, wir spüren die Not in unserer Gemeinde am eigenen Körper. Wir wenden uns hin zu Jesus Christus, dem Herrn der Gemeinde und beknien ihn: 
"Du bist hier gegenwärtig, so tue doch etwas, bewege doch neue Mitarbeiter, um die Arbeit an unseren Mauern besser tun zu können. Lass die Liebe unter uns wachsen, dass Nichtchristen davon angezogen werden. Du hast es versprochen, wir wollen dich an dein Wort erinnern."
In solch ein Gespräch mit Jesus Christus gehört auch, dass wir eingestehen, wo wir selbst versagt haben. Sogar die Fehler anderer können wir stellvertretend nennen und um Vergebung bitten. So wird reiner Tisch gemacht, aufgeräumt und neu aufgebaut. Vielleicht brauchen wir in der Gemeinde diesen stellvertretenden Familiensinn besonders nötig, wo einer für die andere einsteht. Ich staune da immer bei unseren Töchtern, wie sie füreinander einstehen, wenn eine etwas verbockt hat. Man könnte das überspitzt Harmoniebedürfnis nennen, aber es ist mehr. Es ist das Gespür, dass alle darunter leiden, wenn die Schuld eines Familienmitgliedes unvergeben bestehen bleibt. Und es ist die Erfahrung , dass jeder und jede das immer wieder braucht, stellvertretende Vergebung, denn wer macht immer alles richtig!
So gewinnt unser Gebet Tiefenwirkung. Wir beten für die Brüder und Schwestern, mit denen wir hier zusammen gestellt sind. Wir nennen sie namentlich in ihren Aufgaben, in ihren Sorgen und in ihrem Versagen. Der Herr kann unter uns neu beginnen. Alles Alte ist aufgeräumt.

Was Nehemias Leben in Susa aber ganz auf den Kopf stellte, war sein schlichtes "hier bin ich". Er ließ sich von Gott beschlagnahmen. So ist es an mir, mich neu von Jesus Christus beschlagnahmen zu lassen. Dass ich mein Leben ihm übergeben habe, ist kein Punkt - einmal in der Vergangenheit abgeschlossen und ohne größere Auswirkungen auf heute. Dass ich mein Leben Jesus Christus übergeben habe, ist ein Doppelpunkt. Jetzt geht es richtig weiter. Jetzt wird Jesus mein Leben erst von Grund auf verändern. Jetzt beginnt die Reise mit ihm - nicht unbedingt 1000 km auf Pferden, aber gewiss anders als davor. 

Herr Z. hatte sein Leben Jesus in einer Freizeit übergeben. Er wollte nun jeden Tag beginnen mit der Frage: Was will Jesus mit mir heute machen? Doch kaum hatte der Alltag wieder begonnen, war die Frage nach Jesus schnell hinter dem Tagesgeschäft zurückgetreten. Herr Z. wartete auf Veränderungen, aber alles blieb wie gehabt. Die Gottesdienste waren gewisse Highlights - hinterher sagte er sich immer, dass er öfter hingehen sollte, aber die Highlights verblassten schnell wieder. Da sprach ihn jemand an, ob er in einem Kreis mitarbeiten könne. Der Ruf traf ihn. Er sagte zu und sein Leben veränderte sich. Er bekam Kontakt zu anderen Christen, suchte das Gebet und wurde durch die Beschäftigung mit Andachten selbst am meisten beschenkt. Aus einem Punkt ist durch dieses konkrete Ja ein Doppelpunkt geworden. 
Dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Die Gliederaufnahme in unsere Kirche ist kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt. Jesus möchte unser Leben gestalten, er möchte 1. Priorität sein, er möchte uns hier in der Gemeinde als seine Glieder sehen - die sich von ihm beschlagnahmen lassen, um Risse in der Mauer zu kitten.
Ich lese aus den Worten der Bibel diese dringende Anfrage heraus: Lassen wir uns von Jesus beschlagnahmen? Hat er die erste Priorität im Jahr 2000? Und werden wir so wieder zur ersten Generation der Christusnachfolger und Nachfolgerinnen? Getrieben vom Geist Gottes und dem Willen, Gemeinde zu bauen in unserer Zeit?

Ich frage mich, wo der Ort ist, an dem wir uns fragen: Wie geht es meiner Gemeinde? Ein Ort sind sicher die Hauskreise, wo wir sehr persönlich auf Gottes Wort hören und es auf unser Leben beziehen. Ein Ort ist auch unser Gebetskreis vor dem Gottesdienst. Aber er ist zeitlich begrenzt. Und manche können einfach nicht 15 Minuten vor dem Gottesdienst schon da sein. Aber wir brauchen das gemeinsame Gebet nicht nur für unser persönliches Leben, sondern gerade auch für unsere Gemeinde. Wäre eine Stunde am Vormittag eine Möglichkeit, wo einige zusammenkommen und für unsere Gemeinde beten? Wo Jesus zu uns sprechen kann, was er hier vorhat und was er nicht will? Wo wir bereit werden, unsere Irrwege zu erkennen? Wo der Ruf Jesu zur Mitarbeit an der Gemeinde laut wird? Wo wir die Not unserer Brüder und Schwestern vor Jesus bringen können und sie im Gebet tragen? Ich freue mich, wenn Sie mir ein Feedback auf diese Idee geben. Offensichtlich ist das der Start für eine große Aufbauaktion. Nehemia macht Mut, ganz praktisch an die Aufgabe heran zu gehen und Jesus wirklich alles zuzutrauen.

Cornelia Trick
Teil 2


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