Unterwegs zu Palmsonntag (Markus 10,46-52)
Gottesdienst am 14.4.2019 in Brombach

Liebe Gemeinde,
einer, der sich im christlichen Glauben nicht auskennt, kommt heute zufällig in die Kirche – so können wir uns das mal vorstellen. Vielleicht wurde er von jemand mitgebracht, vielleicht ist er einfach neugierig und entdeckerfreudig. Er hört, dass Jesus mit Palmzweigen bejubelt und ihm „Hosianna“ zugerufen wird. Er mag sich fragen: „Wer ist dieser Jesus? Warum bejubelt man ihn? Was bedeutet Hosianna? Und wo führt das Ganze hin?“

Wir wollen ihm auf seine berechtigten Fragen antworten und gehen mit ihm eine Station rückwärts, sozusagen an den Ausgangspunkt des Palmsonntags. Wir werden Zeugen einer Jesus-Begegnung vor den Toren Jerichos.

Markus 10,46-52
Jesus und seine Nachfolger kamen nach Jericho. Als Jesus zusammen mit seinen Jüngern und einer großen Volksmenge Jericho wieder verlassen wollte, saß da am Straßenrand ein blinder Bettler. Es war Bartimäus, der Sohn von Timäus. Als er hörte, dass Jesus von Nazaret da war, fing er an, laut zu rufen: »Jesus, du Sohn Davids! Hab Erbarmen mit mir!« Viele fuhren ihn an: »Sei still!« Aber der Blinde schrie noch viel lauter: »Sohn Davids! Hab Erbarmen mit mir!« Da blieb Jesus stehen und sagte: »Ruft ihn her.« Die Leute riefen den Blinden herbei und sagten zu ihm: »Du kannst Hoffnung haben, steh auf, er ruft dich!« Da warf der Blinde seinen Mantel ab, sprang auf und kam zu Jesus.  Jesus fragte ihn: »Was willst du? Was soll ich für dich tun?« Der Blinde sagte zu ihm: »Rabbuni, dass ich sehen kann!« Und Jesus sagte zu ihm: »Geh nur, dein Glaube hat dich gerettet.« Sofort konnte er sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.

Ein Blinder am Weg unterbricht Jesus auf seiner Reise zum Passah-Fest in Jerusalem. Die Begegnung wird so beschrieben, dass nicht das Wunder im Mittelpunkt steht, sondern der Glaube dieses Mannes. Es ist eine typische Begegnung. Ich werde eingeladen, nicht nur am Rand zu stehen und diese Szene als Zuschauerin zu betrachten. Ich kann mich neben den Blinden setzen und diese Zeit mit Jesus ganz persönlich erleben. Ich kann meine eigenen Lebensthemen mitbringen, wenn ich da sitze: Blindheit in allen Variationen, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Bitterkeit, Not, Einsamkeit, Traurigkeit. 

Hilferuf: „Hab Erbarmen mit mir!“
Der Mann wusste, dass er sich nicht allein retten konnte. Er griff nach einem Strohhalm und rief nach Jesus, den er bis dahin sicher nur vom Dorfklatsch kannte. Es sollte der entscheidende Beginn einer Glaubensbeziehung werden. 

Hier finden wir einen Hinweis für uns selbst. Meine Ohnmacht zugeben, meine Not benennen, bitten, dass Jesus sich erbarmt über mich, weil ich den Weg nicht allein weitergehen kann, wie schwer kann das fallen. Ich habe es immer wieder in Gesprächen erlebt und mache es ja wahrscheinlich ganz ähnlich. Da kommen wir an einen Punkt, wo klar wird, es muss sich was ändern, die Person kommt allein nicht weiter, es wäre der ideale Zeitpunkt, um Jesus um Hilfe zu bitten. Aber mein Gegenüber biegt auf der Einbahnstraße vorzeitig ab, nein, er oder sie wird das schon allein hinbekommen, man muss eben abwarten, es wird sich schon ein Ausweg finden. So groß ist das Problem vielleicht auch gar nicht. Und schon ist die Chance verpasst. Jesus ist vorübergegangen, ohne von dem oder der Betroffenen angehalten worden zu sein.

Es geht ja auch nicht nur um die eigene Not, auch stellvertretend tragen wir die Anliegen anderer auf unserem Herzen, Verwandte, die krank sind, Freunde, die leiden. Und auch für sie könnten wir Jesus herbeirufen. Tun wir es? Oder meinen wir, dass unsere Fürsorge doch reicht? Oder Jesus sich schon von selbst kümmern wird, wenn er will?

Wie schwer fällt es, zuzugeben, das Leben nicht aus eigener Kraft bewältigen zu können. Wie weh tut es, gut durchdachte Pläne zu verabschieden, aufzugeben, wenn der Weg wirklich nicht zum Ziel führt, zuzugeben, dass man mit leeren Händen dasteht.

Zu unserem eigenen Zögern kommt noch Störfeuer aus der Umgebung.

Die anderen: „Sei still!“
Niemand wird wohl absichtlich einen Hilfsbedürftigen von Jesus abdrängen. Aber die eigenen Anliegen sind oft stärker. Um Aufmerksamkeit wird gerungen wie am Familientisch, wenn alle durcheinanderreden und die Lauteste sich durchsetzt.

Auch in Gesprächen kennen wir das wahrscheinlich alle. Zwei erzählen sich aus ihrem Leben. Die eine sprudelt lauter Lebenserfahrungen heraus, die andere verstummt mehr und mehr. So tolle Dinge hat sie nicht erlebt und zu Wort kommt sie auch nicht. Sie ist nur noch körperlich bei dem Gespräch anwesend, als Spiegel für die Freundin. Oder eine andere Szene: Einer erzählt von seinen familiären Problemen. Er sucht Rat, hofft, dass sein Freund ihm helfen kann. Doch der nutzt ein Stichwort, um seine eigene Geschichte zu erzählten: „Genau das habe ich auch erlebt und so weiter und so weiter“. Genau das Gleiche kann niemand erleben, es ist immer anders und wert, sich darauf einzulassen. Bei dem, der eigentlich etwas loswerden wollte, ist die Tür zu. Er wird nicht so schnell noch einmal auspacken wollen, denn sein Gegenüber scheint sich nicht dafür zu interessieren.

Der Blinde ließ sich nicht stoppen. Er blieb beharrlich an Jesus dran. Ich möchte von ihm lernen. Mich weder von meiner eigenen Selbstüberschätzung noch von anderen, die mich stoppen wollen, von ihm wegdrängen lassen. Dazu ist sicher Geduld nötig und manchmal ein langer Atem.

Jesus: „Ruft ihn her!“
Der gute Hirte hört sein Schaf, das nach ihm ruft. Er erkennt die Stimme trotz Störgeräuschen. Er sieht die Not, kann helfen und kümmert sich. Doch Jesus beugt sich nicht einfach über den Blinden und berührt seine Augen, dass er wieder sehen kann. Er fordert ihn auf, zu ihm zu kommen, einen Schritt zu gehen. Darin steckt eine Absicht: Ist es dem Mann wirklich ernst? Ist er bereit, aus seinem alten Leben, vom Bettelplatz aufzubrechen? 

Jesus erwartet auch von mir einen ersten Schritt. Bin ich bereit dazu? Setze ich mich Jesu Gegenwart bewusst aus, indem ich mir Zeit nehme, ihm zu begegnen? Ich denke an einen Gottesdienstbesuch, an eine Zeit mit der Bibel, an eine Stunde, in der ich mich mit Musik umgebe, die mich mit Jesus verbindet. Oder auch die Möglichkeit, Jesus durch ein Buch, durch eine Geschichte näher zu kommen, ihm Raum zu geben, zu mir zu kommen.

Die Leute: „Du kannst Hoffnung haben!“
Es braucht oft Mittler, die Jesu Ruf weitergeben und uns zu Jesus führen. Mir fallen viele Menschen auf meinem Lebensweg ein. Meine Eltern, Sonntagsschulmitarbeiterinnen, ein Lehrer, Freunde, meine engste Familie. Immer wieder haben sie mich ermutigt, mich in Bewegung zu setzen und Jesus zu vertrauen, auch wenn ich den Weg damals noch nicht klar erkannt habe. Sie haben mir zugesagt, dass Jesus mich persönlich meint und mich gestärkt, ihm mein Herz auszuschütten.

Wir können selbst diese Ermutigenden werden. Dazu braucht es nicht viel. Ich zähle mal ein paar Punkte auf: sensibel für den oder die andere sein und wirklich ihr Anliegen hören, ohne eigene Geschichten daran zu hängen. Auf der „Straße“ laufen und wahrnehmen, wer da alles so in meinem Umfeld ist. Jemand konkret begleiten, unter den Arm packen, ihn einladen, Jesus näher zu kommen.

Blinder: wirft Mantel ab
Der Mann wirft seinen Mantel weg, dahinter steckt viel Symbolik. Der Mantel war zur damaligen Zeit auch gleichzeitig so etwas Ähnliches wie ein Ein-Mann-Zelt in einer kleinen Packung zum Mitnehmen. Man schlief im Freien unter seinem Mantel, wenn es keine Herberge gab. Einen Mantel ließ niemand achtlos liegen, anders als heute, wo in unserer Kirchen-Garderobe einige verlassene Mäntel hängen, die offenbar niemand mehr braucht. 

Der Blinde wirft seine Sicherheit weg, obwohl Jesus ihm noch gar nicht geholfen hat. Er wirft damit auch sein altes Leben weg, Belastendes, Verletzungen, Schuld und Einsamkeit. Er braucht diese alte Sicherheit nicht mehr, er vertraut auf Jesu Sicherheit.

Er wird sehend in zweifacher Hinsicht. 

  • Medizinisch wird ihm seine Sehkraft wiedergeschenkt.
  • Im Glauben erkennt er die Liebe Gottes zu ihm ganz persönlich. Er kann ihr trauen. Er ist nicht mehr allein. Er wird durch Jesus fähig, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen.
Wir und unser Mantel
Was können wir loslassen, wegwerfen, wenn wir die Sicherheit in Gott haben? Der Blinde hat seinen Mantel vielleicht gar nicht wieder geholt, nachdem er sehen konnte. Er ist direkt mit Jesus mitgegangen. Er hat seine Vergangenheit heilen lassen in der Gemeinschaft mit Jesus. Er wurde durch seine eigene Erfahrung aufmerksam auf andere Bartimäusse am Weg und rief ihnen zu: „Sei mutig! Steh auf! Er ruft dich!“

Mit Bartimäus setzen wir den Weg fort und ziehen mit Jesus Palmsonntag in Jerusalem ein. Jesus reitet auf einem Lastesel. Er trägt mit dem Esel die Blindheit der Welt, unsere ganz persönliche Not. Viele Leute breiten ihre Mäntel aus. Sie legen Mäntel auf den Rücken des Esels und auf den Weg. Ihr Leben verbinden sie so mit Jesus. Sie lassen ihre schmerzvolle Vergangenheit los und folgen Jesus. Sie rufen „Hosianna“, was zu Deutsch „O Herr, hilf!“ bedeutet. Sie rufen das Gleiche, das auch Bartimäus gerufen hatte. 

Palmsonntag setzt die Heilung an einem Menschen fort und öffnet die Szene für uns alle, die wir uns in Bartimäus auf die eine oder andere Weise wiederfinden.

Wenn wir heute von Jesus angerührt werden, den Impuls spüren, Hosianna zu rufen, können wir unseren Mantel ablegen und zu Jesus kommen. Er fragt uns: „Was kann ich für dich tun?“ Und wir dürfen ihm trauen, dass er uns die Augen öffnet für seinen Weg mit uns. Dass er uns mitnimmt in seine Leidensgeschichte, wo er am Kreuz alle unsere alten Mäntel mit ihm sterben lassen wird, um uns die Freiheit zu schenken, ein Leben mit Gott, wie er es für uns gemeint hat.

Cornelia Trick


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