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Liebe Gemeinde,
Wir wollen ihm auf seine berechtigten Fragen antworten und gehen mit ihm eine Station rückwärts, sozusagen an den Ausgangspunkt des Palmsonntags. Wir werden Zeugen einer Jesus-Begegnung vor den Toren Jerichos. Markus 10,46-52
Ein Blinder am Weg unterbricht Jesus auf seiner Reise zum Passah-Fest in Jerusalem. Die Begegnung wird so beschrieben, dass nicht das Wunder im Mittelpunkt steht, sondern der Glaube dieses Mannes. Es ist eine typische Begegnung. Ich werde eingeladen, nicht nur am Rand zu stehen und diese Szene als Zuschauerin zu betrachten. Ich kann mich neben den Blinden setzen und diese Zeit mit Jesus ganz persönlich erleben. Ich kann meine eigenen Lebensthemen mitbringen, wenn ich da sitze: Blindheit in allen Variationen, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Bitterkeit, Not, Einsamkeit, Traurigkeit. Hilferuf: „Hab Erbarmen
mit mir!“
Hier finden wir einen Hinweis für uns selbst. Meine Ohnmacht zugeben, meine Not benennen, bitten, dass Jesus sich erbarmt über mich, weil ich den Weg nicht allein weitergehen kann, wie schwer kann das fallen. Ich habe es immer wieder in Gesprächen erlebt und mache es ja wahrscheinlich ganz ähnlich. Da kommen wir an einen Punkt, wo klar wird, es muss sich was ändern, die Person kommt allein nicht weiter, es wäre der ideale Zeitpunkt, um Jesus um Hilfe zu bitten. Aber mein Gegenüber biegt auf der Einbahnstraße vorzeitig ab, nein, er oder sie wird das schon allein hinbekommen, man muss eben abwarten, es wird sich schon ein Ausweg finden. So groß ist das Problem vielleicht auch gar nicht. Und schon ist die Chance verpasst. Jesus ist vorübergegangen, ohne von dem oder der Betroffenen angehalten worden zu sein. Es geht ja auch nicht nur um die eigene Not, auch stellvertretend tragen wir die Anliegen anderer auf unserem Herzen, Verwandte, die krank sind, Freunde, die leiden. Und auch für sie könnten wir Jesus herbeirufen. Tun wir es? Oder meinen wir, dass unsere Fürsorge doch reicht? Oder Jesus sich schon von selbst kümmern wird, wenn er will? Wie schwer fällt es, zuzugeben, das Leben nicht aus eigener Kraft bewältigen zu können. Wie weh tut es, gut durchdachte Pläne zu verabschieden, aufzugeben, wenn der Weg wirklich nicht zum Ziel führt, zuzugeben, dass man mit leeren Händen dasteht. Zu unserem eigenen Zögern kommt noch Störfeuer aus der Umgebung. Die anderen: „Sei still!“
Auch in Gesprächen kennen wir das wahrscheinlich alle. Zwei erzählen sich aus ihrem Leben. Die eine sprudelt lauter Lebenserfahrungen heraus, die andere verstummt mehr und mehr. So tolle Dinge hat sie nicht erlebt und zu Wort kommt sie auch nicht. Sie ist nur noch körperlich bei dem Gespräch anwesend, als Spiegel für die Freundin. Oder eine andere Szene: Einer erzählt von seinen familiären Problemen. Er sucht Rat, hofft, dass sein Freund ihm helfen kann. Doch der nutzt ein Stichwort, um seine eigene Geschichte zu erzählten: „Genau das habe ich auch erlebt und so weiter und so weiter“. Genau das Gleiche kann niemand erleben, es ist immer anders und wert, sich darauf einzulassen. Bei dem, der eigentlich etwas loswerden wollte, ist die Tür zu. Er wird nicht so schnell noch einmal auspacken wollen, denn sein Gegenüber scheint sich nicht dafür zu interessieren. Der Blinde ließ sich nicht stoppen. Er blieb beharrlich an Jesus dran. Ich möchte von ihm lernen. Mich weder von meiner eigenen Selbstüberschätzung noch von anderen, die mich stoppen wollen, von ihm wegdrängen lassen. Dazu ist sicher Geduld nötig und manchmal ein langer Atem. Jesus: „Ruft ihn her!“
Jesus erwartet auch von mir einen ersten Schritt. Bin ich bereit dazu? Setze ich mich Jesu Gegenwart bewusst aus, indem ich mir Zeit nehme, ihm zu begegnen? Ich denke an einen Gottesdienstbesuch, an eine Zeit mit der Bibel, an eine Stunde, in der ich mich mit Musik umgebe, die mich mit Jesus verbindet. Oder auch die Möglichkeit, Jesus durch ein Buch, durch eine Geschichte näher zu kommen, ihm Raum zu geben, zu mir zu kommen. Die Leute: „Du kannst Hoffnung
haben!“
Wir können selbst diese Ermutigenden werden. Dazu braucht es nicht viel. Ich zähle mal ein paar Punkte auf: sensibel für den oder die andere sein und wirklich ihr Anliegen hören, ohne eigene Geschichten daran zu hängen. Auf der „Straße“ laufen und wahrnehmen, wer da alles so in meinem Umfeld ist. Jemand konkret begleiten, unter den Arm packen, ihn einladen, Jesus näher zu kommen. Blinder: wirft Mantel ab
Der Blinde wirft seine Sicherheit weg, obwohl Jesus ihm noch gar nicht geholfen hat. Er wirft damit auch sein altes Leben weg, Belastendes, Verletzungen, Schuld und Einsamkeit. Er braucht diese alte Sicherheit nicht mehr, er vertraut auf Jesu Sicherheit. Er wird sehend in zweifacher Hinsicht.
Was können wir loslassen, wegwerfen, wenn wir die Sicherheit in Gott haben? Der Blinde hat seinen Mantel vielleicht gar nicht wieder geholt, nachdem er sehen konnte. Er ist direkt mit Jesus mitgegangen. Er hat seine Vergangenheit heilen lassen in der Gemeinschaft mit Jesus. Er wurde durch seine eigene Erfahrung aufmerksam auf andere Bartimäusse am Weg und rief ihnen zu: „Sei mutig! Steh auf! Er ruft dich!“ Mit Bartimäus setzen wir den Weg fort und ziehen mit Jesus Palmsonntag in Jerusalem ein. Jesus reitet auf einem Lastesel. Er trägt mit dem Esel die Blindheit der Welt, unsere ganz persönliche Not. Viele Leute breiten ihre Mäntel aus. Sie legen Mäntel auf den Rücken des Esels und auf den Weg. Ihr Leben verbinden sie so mit Jesus. Sie lassen ihre schmerzvolle Vergangenheit los und folgen Jesus. Sie rufen „Hosianna“, was zu Deutsch „O Herr, hilf!“ bedeutet. Sie rufen das Gleiche, das auch Bartimäus gerufen hatte. Palmsonntag setzt die Heilung an einem Menschen fort und öffnet die Szene für uns alle, die wir uns in Bartimäus auf die eine oder andere Weise wiederfinden. Wenn wir heute von Jesus angerührt werden, den Impuls spüren, Hosianna zu rufen, können wir unseren Mantel ablegen und zu Jesus kommen. Er fragt uns: „Was kann ich für dich tun?“ Und wir dürfen ihm trauen, dass er uns die Augen öffnet für seinen Weg mit uns. Dass er uns mitnimmt in seine Leidensgeschichte, wo er am Kreuz alle unsere alten Mäntel mit ihm sterben lassen wird, um uns die Freiheit zu schenken, ein Leben mit Gott, wie er es für uns gemeint hat. Cornelia
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