Gottesdienst am 23.9.2018
in Brombach
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in Süddeutschland
wurde vor einigen Jahren eine Gemeindearbeit in einer alten Kapelle aufgegeben.
Eigentlich wollte man die Kapelle verkaufen, aber es fand sich niemand,
der sie erwerben wollte, so stand sie leer. Ein junger Kollege hatte da
eine Idee. Er liebte das Klettern und kannte einige, die auch begeistert
in Kletterhallen unterwegs waren. Warum nicht die Kapelle zu einer Kletterhalle
umbauen und daneben eine Gemeindearbeit in einem Restaurant anfangen? So
mancher schüttelte da den Kopf – was für eine verrückte
Idee. Und was hatte Klettern mit dem Glauben an Jesus Christus zu tun,
außer dass beides in der Vertikalen geschah? Doch der junge Pastor
ließ sich nicht entmutigen, ging durch die Instanzen der kirchlichen
Entscheidungsgremien und baute die Kletterwände. Heute, fünf
Jahre später, sprengt die Gemeinde längst das ursprüngliche
Gasthaus, gerade wird nach einem neuen Gebäude für die jungen
Menschen, Familien und auch Älteren gesucht, die sich zum Gottesdienst
und in der Gemeinde zusammenfinden. Die Kletterhalle läuft selbstständig
mit einem guten Team, ist voll ausgebucht, und es gibt schon wieder neue
Pläne, Menschen von heute zu erreichen.
Ganz normale Leute sind
dort aufgebrochen, haben eine Idee als von Gott geschickt ernstgenommen,
an ihr festgehalten auch durch Widerstände hindurch und lassen sich
seither führen, wohin Gott mit ihnen noch hin will.
An diese Gemeinde-Geschichte
wurde ich erinnert, als ich mich in eine Jesus-Begegnung hinein versetzte.
Da ist Jesus auch aufgebrochen aus festen Strukturen und hat damit auch
uns neue Perspektiven eröffnet.
Vier Personengruppen sind
für diese Jesus-Begegnung wichtig.
1 Die Vorgeschichte – Pharisäer
und Schriftgelehrte
Wieder einmal ertappten
die ausgebildeten Theologen der damaligen Zeit die Jünger bei einer
Übertretung des jüdischen Gesetzes. Sie hatten sich die Hände
vor dem Essen nicht gewaschen, wahrscheinlich waren sie einfach unterwegs
und aßen so nebenher. Es kommt einem so vor, als hätten die
Männer sich wie eine Sittenpolizei an die Füße der Jesus-Gruppe
geheftet, um alle Verstöße sofort zu melden. Aber wahrscheinlich
waren sie ja einfach nur besorgt, dass Jesus gegen Gottes Anweisungen verstieß
und gleichzeitig von sich behauptete, in Gottes Vollmacht aufzutreten.
Das konnte nach ihrem Verständnis einfach nicht zusammenpassen. Was
als Streitgespräch begann, bei dem die Pharisäer und Schriftgelehrten
die Ankläger waren, entpuppte sich am Ende als eine Anklage gegen
sie selbst. Sie wurden bloßgestellt als hartherzig, böswillig,
auf den eigenen Vorteil erpicht und blind für Gottes Willen.
Aus dieser Enge und der
ständigen Beobachtung und Kommentierung auf Schritt und Tritt brach
Jesus auf:
Matthäus 15,21-28
Jesus verließ Gennesaret
und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Und sieh doch:
Eine kanaanitische Frau aus dieser Gegend kam zu ihm. Sie schrie: »Hab
Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem bösen
Dämon beherrscht!« Aber Jesus gab ihr keine Antwort. Da kamen
seine Jünger zu ihm und baten ihn: »Schick sie weg! Denn sie
schreit hinter uns her!« Aber Jesus antwortete ihnen: »Ich
bin nur zu Israel gesandt, dieser Herde von verlorenen Schafen.«
Aber die Frau warf sich vor ihm nieder und sagte: »Herr, hilf mir
doch!« Aber Jesus antwortete: »Es ist nicht richtig, den Kindern
das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen.« Die Frau entgegnete:
»Ja, Herr! Aber die Hunde fressen doch von den Krümeln, die
vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.« Darauf antwortete ihr Jesus:
»Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen!«
In demselben Augenblick wurde ihre Tochter gesund.
2 Die Jünger
Die Freunde um Jesus laufen
mit. Bei den Auseinandersetzungen, auch der jüngsten, blieben sie
passiv, obwohl es ja um ihr Händewaschen ging. Jetzt auf einmal werden
sie aktiv. Zwei Deutungsmöglichkeiten drängen sich auf. Entweder
sie wollen Jesus schützen: „Verzettel dich nicht! Du brauchst eine
Auszeit, und die Frau gehört doch gar nicht zu uns, für die bist
du nicht verantwortlich.“ Oder sie wollen Jesus in dieser Atempause für
sich, etwa wie Kinder, die an ihrer Mutter zerren, wenn sie gerade telefoniert
und von ihnen abgelenkt ist. Auch das ist sehr verständlich und nachvollziehbar,
wo die Jünger Jesus so oft teilen mussten.
3 Jesus
Jesus sagt zunächst
kein Wort zu der unbekannten Frau. Überhört er sie? Prüft
er erst, ob es ihr wirklich wichtig ist? Zu den Jüngern wendet sich
Jesus zunächst und bestätigt, dass diese Frau nicht in seinen
Einflussbereich gehört. Er hat mit Israel ja wirklich genug zu tun.
Doch die Frau lässt ihn ja nicht in Ruhe, sie spricht in seiner jüdischen
Gebetssprache. Sie zeigt damit, dass sie ihn als Messias Israels anerkennt.
Jesus antwortet ihr wie so oft mit einem Gleichnis. Auch wir sehen diese
Szene sofort bildlich vor Augen. Ein Esstisch, die Familie sitzt drum herum,
unter dem Tisch sitzt Waldi, der Dackel des Hauses. Er scheint zu schlafen,
aber
seine Sinne sind angespannt. Sobald ein Kind etwas unter den Tisch fallen
lässt, ist er zur Stelle und sammelt die Krümel auf.
Jesus weist der Frau ihre
Position zu – nicht am Esstisch, aber schon bei der Familie Gottes, die
von Gott das Brot ausgeteilt bekommt.
4 Die Frau
Sie wird uns vorgestellt
als eine Nicht-Jüdin aus dem Gebiet nördlich von Israel. Sie
hat eine kranke Tochter, der kein Arzt helfen kann. Also – wenn keiner
helfen kann – muss sie vom Bösen im Griff gehalten sein. Die Frau
hatte wohl von Jesus gehört, sie nutzt jüdische Gebetssprache,
um ihm nahe zu kommen. Sie ist wach, hört Jesus zu und spinnt den
Faden weiter. Statt seine Ablehnung als Abfuhr zu akzeptieren, wendet sie
sie ins Positive. Die Hunde essen nur Krümel, ja, sie würden
sicher lieber Wurstbrote bekommen. Aber Krümel aus Jesu Hand können
5000 Menschen satt machen, wie es gerade kurz vor dieser Begegnung geschehen
ist. Ein Krümel von den 5 Broten, die Jesus da teilte, wäre für
die Tochter genug um zu genesen. Das glaubt diese Frau offenbar fest.
Jesus wird in dieser Begegnung
so menschlich gezeichnet. Es ist eine der Szenen, die ihn am deutlichsten
als wahren Menschen beschreiben. Auch er – als Gottes Sohn ganz nah am
Herz des Vaters – war ein Lernender, der an Kreuzungen kam und sich für
Abzweigungen entscheiden musste. Da allerdings, so sehen wir es hier, war
seine Entscheidung von Gottes Geist hundertprozentig beeinflusst. Die Frau
gibt ihm zu verstehen, dass sie ihm vertraut, dass sie ihm zutraut, mit
einem Krümel ihre Tochter zu heilen, mit einem Krümel diese Tochter
in die Gemeinschaft ihrer Mitmenschen und mit Gott zurückzubringen.
Jesus heilt die Tochter, weil die Mutter an ihn glaubt. Doch diese Heilung
ist anders als all die anderen vorher. Sie geht über die Grenzen des
auserwählten Volkes Gottes hinaus. Sie öffnet diese Grenzen hin
zu Menschen, die nicht jüdischer Abstammung sind, keine Vorbedingungen
mitbringen, um zu Gott zu gehören. Sie öffnet die Kontaktliste
Gottes über seine Familie hinaus und ruft Menschen aus allen Enden
der Erde dazu, mit Gott in Beziehung zu treten und seine adoptierten Kinder
zu werden.
Die Gemeinde, für
die das Matthäusevangelium geschrieben wurde, las die Geschichte wahrscheinlich
so: Die Gemeindeleute waren Juden, die zum Glauben an Jesus gekommen waren.
Doch bei ihren früheren Glaubensgeschwistern fühlten sie sich
nicht mehr zuhause. Sie waren entwurzelt und oft auch mutlos. Hier lernten
sie, dass sie sich wie Jesus gemäß seinem Missionsbefehl
nach Ostern aufmachen sollten zu Menschen in anderen Lebensräumen.
Sie waren nicht in Israel eingesperrt, sondern sollten neue Horizonte erobern.
Wie lesen wir heute diese
Geschichte? Stellen wir uns zu den einzelnen Personen:
Stehen wir bei den Pharisäern
und Schriftgelehrten, kann es sein, dass wir an unsere Grenzen erinnert
werden, in die wir Gemeinde Jesu pressen. Wir denken an eine bürgerliche
Lebensweise, einen 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntagmorgen, die Pflege guter
Traditionen und des Erbes der Kirche.
Stellen wir uns zu den
Jüngern, fühlen wir uns gestört von anderen, ihrer Not und
ihren Bedürfnissen. Erst mal soll Jesus sich um uns in der Gemeinde
kümmern, was dann noch anfällt, bitte ohne uns.
Stellen wir uns zu der
Frau, sind wir jemand mit einer richtigen Not. Die ist uns so auf dem Herzen,
dass wir nicht locker lassen, uns von nichts und niemand abwimmeln lassen.
Wir reden mit Jesus, wir nehmen ihn beim Wort: „Unser täglich Brot
gib uns heute!“ Wir glauben, dass ein Brosamen reicht, um unsere Not mit
Jesu Hilfe zu beenden.
Stellen wir uns zu Jesus,
bedeutet es, wachsam zu bleiben für unsere Aufgaben und unsere Wege.
Kann es sein, dass Gott uns herausfordert, über unsere Grenzen hinauszugehen?
Ich erlebe das für mich, wenn ich Kontakt zu Menschen aus anderen
Kulturkreisen habe. Wie schwer fällt es mir, ihnen verständlich
von meinem Glauben zu erzählen. Und doch, gerade da erlebe ich, wie
sinnvoll das ist und wie ich auch selbst Gottes Leiten in diesen Gesprächen
erfahre.
Nicht nur als Einzelne,
auch als Gemeinde können wir uns zu Jesus stellen. In Süddeutschland
hörte ein Pastor den Ruf von Jungen Erwachsenen – wen hören wir
hier? Sind es die Älteren, die in unserem Ort als Witwen und Witwer
zurückbleiben und so nötig Gemeinschaft bräuchten? Sind
es die Kinder, die stundenlang mit dem Fahrrad um die Kirche düsen,
weil zuhause keiner ist, der mit ihnen Hausaufgaben machen kann? Sind es
Ruheständler, die gerne etwas schaffen würden, aber keine Werkstatt
und kein Team dafür finden? Das sind nur kleine Beispiele aus Brombach,
die zu Hausaufgaben werden könnten, die Jesus uns mit dieser Begegnung
gibt. Es wäre gut, wir würden uns als Gemeinde zusammentun, um
sie zu bearbeiten – durch Gebet, Hinhören, Hinschauen, und Hingehen.
Cornelia
Trick
|