Neue Perspektiven (Matthäus 15,21-28)
Gottesdienst am 23.9.2018 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in Süddeutschland wurde vor einigen Jahren eine Gemeindearbeit in einer alten Kapelle aufgegeben. Eigentlich wollte man die Kapelle verkaufen, aber es fand sich niemand, der sie erwerben wollte, so stand sie leer. Ein junger Kollege hatte da eine Idee. Er liebte das Klettern und kannte einige, die auch begeistert in Kletterhallen unterwegs waren. Warum nicht die Kapelle zu einer Kletterhalle umbauen und daneben eine Gemeindearbeit in einem Restaurant anfangen? So mancher schüttelte da den Kopf – was für eine verrückte Idee. Und was hatte Klettern mit dem Glauben an Jesus Christus zu tun, außer dass beides in der Vertikalen geschah? Doch der junge Pastor ließ sich nicht entmutigen, ging durch die Instanzen der kirchlichen Entscheidungsgremien und baute die Kletterwände. Heute, fünf Jahre später, sprengt die Gemeinde längst das ursprüngliche Gasthaus, gerade wird nach einem neuen Gebäude für die jungen Menschen, Familien und auch Älteren gesucht, die sich zum Gottesdienst und in der Gemeinde zusammenfinden. Die Kletterhalle läuft selbstständig mit einem guten Team, ist voll ausgebucht, und es gibt schon wieder neue Pläne, Menschen von heute zu erreichen.

Ganz normale Leute sind dort aufgebrochen, haben eine Idee als von Gott geschickt ernstgenommen, an ihr festgehalten auch durch Widerstände hindurch und lassen sich seither führen, wohin Gott mit ihnen noch hin will.

An diese Gemeinde-Geschichte wurde ich erinnert, als ich mich in eine Jesus-Begegnung hinein versetzte. Da ist Jesus auch aufgebrochen aus festen Strukturen und hat damit auch uns neue Perspektiven eröffnet.

Vier Personengruppen sind für diese Jesus-Begegnung wichtig.

1 Die Vorgeschichte – Pharisäer und Schriftgelehrte
Wieder einmal ertappten die ausgebildeten Theologen der damaligen Zeit die Jünger bei einer Übertretung des jüdischen Gesetzes. Sie hatten sich die Hände vor dem Essen nicht gewaschen, wahrscheinlich waren sie einfach unterwegs und aßen so nebenher. Es kommt einem so vor, als hätten die Männer sich wie eine Sittenpolizei an die Füße der Jesus-Gruppe geheftet, um alle Verstöße sofort zu melden. Aber wahrscheinlich waren sie ja einfach nur besorgt, dass Jesus gegen Gottes Anweisungen verstieß und gleichzeitig von sich behauptete, in Gottes Vollmacht aufzutreten. Das konnte nach ihrem Verständnis einfach nicht zusammenpassen. Was als Streitgespräch begann, bei dem die Pharisäer und Schriftgelehrten die Ankläger waren, entpuppte sich am Ende als eine Anklage gegen sie selbst. Sie wurden bloßgestellt als hartherzig, böswillig, auf den eigenen Vorteil erpicht und blind für Gottes Willen.

Aus dieser Enge und der ständigen Beobachtung und Kommentierung auf Schritt und Tritt brach Jesus auf:

Matthäus 15,21-28
Jesus verließ Gennesaret und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Und sieh doch: Eine kanaanitische Frau aus dieser Gegend kam zu ihm. Sie schrie: »Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem bösen Dämon beherrscht!« Aber Jesus gab ihr keine Antwort. Da kamen seine Jünger zu ihm und baten ihn: »Schick sie weg! Denn sie schreit hinter uns her!« Aber Jesus antwortete ihnen: »Ich bin nur zu Israel gesandt, dieser Herde von verlorenen Schafen.« Aber die Frau warf sich vor ihm nieder und sagte: »Herr, hilf mir doch!« Aber Jesus antwortete: »Es ist nicht richtig, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen.« Die Frau entgegnete: »Ja, Herr! Aber die Hunde fressen doch von den Krümeln, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.« Darauf antwortete ihr Jesus: »Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen!« In demselben Augenblick wurde ihre Tochter gesund.

2 Die Jünger
Die Freunde um Jesus laufen mit. Bei den Auseinandersetzungen, auch der jüngsten, blieben sie passiv, obwohl es ja um ihr Händewaschen ging. Jetzt auf einmal werden sie aktiv. Zwei Deutungsmöglichkeiten drängen sich auf. Entweder sie wollen Jesus schützen: „Verzettel dich nicht! Du brauchst eine Auszeit, und die Frau gehört doch gar nicht zu uns, für die bist du nicht verantwortlich.“ Oder sie wollen Jesus in dieser Atempause für sich, etwa wie Kinder, die an ihrer Mutter zerren, wenn sie gerade telefoniert und von ihnen abgelenkt ist. Auch das ist sehr verständlich und nachvollziehbar, wo die Jünger Jesus so oft teilen mussten.

3 Jesus
Jesus sagt zunächst kein Wort zu der unbekannten Frau. Überhört er sie? Prüft er erst, ob es ihr wirklich wichtig ist? Zu den Jüngern wendet sich Jesus zunächst und bestätigt, dass diese Frau nicht in seinen Einflussbereich gehört. Er hat mit Israel ja wirklich genug zu tun. Doch die Frau lässt ihn ja nicht in Ruhe, sie spricht in seiner jüdischen Gebetssprache. Sie zeigt damit, dass sie ihn als Messias Israels anerkennt. Jesus antwortet ihr wie so oft mit einem Gleichnis. Auch wir sehen diese Szene sofort bildlich vor Augen. Ein Esstisch, die Familie sitzt drum herum, unter dem Tisch sitzt Waldi, der Dackel des Hauses. Er scheint zu schlafen, aber seine Sinne sind angespannt. Sobald ein Kind etwas unter den Tisch fallen lässt, ist er zur Stelle und sammelt die Krümel auf.

Jesus weist der Frau ihre Position zu – nicht am Esstisch, aber schon bei der Familie Gottes, die von Gott das Brot ausgeteilt bekommt.

4 Die Frau
Sie wird uns vorgestellt als eine Nicht-Jüdin aus dem Gebiet nördlich von Israel. Sie hat eine kranke Tochter, der kein Arzt helfen kann. Also – wenn keiner helfen kann – muss sie vom Bösen im Griff gehalten sein. Die Frau hatte wohl von Jesus gehört, sie nutzt jüdische Gebetssprache, um ihm nahe zu kommen. Sie ist wach, hört Jesus zu und spinnt den Faden weiter. Statt seine Ablehnung als Abfuhr zu akzeptieren, wendet sie sie ins Positive. Die Hunde essen nur Krümel, ja, sie würden sicher lieber Wurstbrote bekommen. Aber Krümel aus Jesu Hand können 5000 Menschen satt machen, wie es gerade kurz vor dieser Begegnung geschehen ist. Ein Krümel von den 5 Broten, die Jesus da teilte, wäre für die Tochter genug um zu genesen. Das glaubt diese Frau offenbar fest.

Jesus wird in dieser Begegnung so menschlich gezeichnet. Es ist eine der Szenen, die ihn am deutlichsten als wahren Menschen beschreiben. Auch er – als Gottes Sohn ganz nah am Herz des Vaters – war ein Lernender, der an Kreuzungen kam und sich für Abzweigungen entscheiden musste. Da allerdings, so sehen wir es hier, war seine Entscheidung von Gottes Geist hundertprozentig beeinflusst. Die Frau gibt ihm zu verstehen, dass sie ihm vertraut, dass sie ihm zutraut, mit einem Krümel ihre Tochter zu heilen, mit einem Krümel diese Tochter in die Gemeinschaft ihrer Mitmenschen und mit Gott zurückzubringen. Jesus heilt die Tochter, weil die Mutter an ihn glaubt. Doch diese Heilung ist anders als all die anderen vorher. Sie geht über die Grenzen des auserwählten Volkes Gottes hinaus. Sie öffnet diese Grenzen hin zu Menschen, die nicht jüdischer Abstammung sind, keine Vorbedingungen mitbringen, um zu Gott zu gehören. Sie öffnet die Kontaktliste Gottes über seine Familie hinaus und ruft Menschen aus allen Enden der Erde dazu, mit Gott in Beziehung zu treten und seine adoptierten Kinder zu werden.

Die Gemeinde, für die das Matthäusevangelium geschrieben wurde, las die Geschichte wahrscheinlich so: Die Gemeindeleute waren Juden, die zum Glauben an Jesus gekommen waren. Doch bei ihren früheren Glaubensgeschwistern fühlten sie sich nicht mehr zuhause. Sie waren entwurzelt und oft auch mutlos. Hier lernten sie, dass sie sich wie Jesus  gemäß seinem Missionsbefehl nach Ostern aufmachen sollten zu Menschen in anderen Lebensräumen. Sie waren nicht in Israel eingesperrt, sondern sollten neue Horizonte erobern.

Wie lesen wir heute diese Geschichte? Stellen wir uns zu den einzelnen Personen:

Stehen wir bei den Pharisäern und Schriftgelehrten, kann es sein, dass wir an unsere Grenzen erinnert werden, in die wir Gemeinde Jesu pressen. Wir denken an eine bürgerliche Lebensweise, einen 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntagmorgen, die Pflege guter Traditionen und des Erbes der Kirche.

Stellen wir uns zu den Jüngern, fühlen wir uns gestört von anderen, ihrer Not und ihren Bedürfnissen. Erst mal soll Jesus sich um uns in der Gemeinde kümmern, was dann noch anfällt, bitte ohne uns.

Stellen wir uns zu der Frau, sind wir jemand mit einer richtigen Not. Die ist uns so auf dem Herzen, dass wir nicht locker lassen, uns von nichts und niemand abwimmeln lassen. Wir reden mit Jesus, wir nehmen ihn beim Wort: „Unser täglich Brot gib uns heute!“ Wir glauben, dass ein Brosamen reicht, um unsere Not mit Jesu Hilfe zu beenden. 

Stellen wir uns zu Jesus, bedeutet es, wachsam zu bleiben für unsere Aufgaben und unsere Wege. Kann es sein, dass Gott uns herausfordert, über unsere Grenzen hinauszugehen? Ich erlebe das für mich, wenn ich Kontakt zu Menschen aus anderen Kulturkreisen habe. Wie schwer fällt es mir, ihnen verständlich von meinem Glauben zu erzählen. Und doch, gerade da erlebe ich, wie sinnvoll das ist und wie ich auch selbst Gottes Leiten in diesen Gesprächen erfahre.

Nicht nur als Einzelne, auch als Gemeinde können wir uns zu Jesus stellen. In Süddeutschland hörte ein Pastor den Ruf von Jungen Erwachsenen – wen hören wir hier? Sind es die Älteren, die in unserem Ort als Witwen und Witwer zurückbleiben und so nötig Gemeinschaft bräuchten? Sind es die Kinder, die stundenlang mit dem Fahrrad um die Kirche düsen, weil zuhause keiner ist, der mit ihnen Hausaufgaben machen kann? Sind es Ruheständler, die gerne etwas schaffen würden, aber keine Werkstatt und kein Team dafür finden? Das sind nur kleine Beispiele aus Brombach, die zu Hausaufgaben werden könnten, die Jesus uns mit dieser Begegnung gibt. Es wäre gut, wir würden uns als Gemeinde zusammentun, um sie zu bearbeiten – durch Gebet, Hinhören, Hinschauen, und Hingehen.

Cornelia Trick


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