Jesus, wo warst du? (Johannes 11,1-27)
Gottesdienst am 18.3.2018 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Thomas Jefferson war vor 200 Jahren Präsident der USA. Er hatte großes Interesse am Leben Jesu und an dem, was Jesus gesagt hatte. So nahm er verschiedene Bibelausgaben, griechisch, französisch und englisch, und schnitt mit dem Rasiermesser einzelne Bibelstellen heraus, die er für wichtig hielt. Er ordnete die Schnipsel und entwarf eine Lebensgeschichte Jesu von der Geburt bis zu seinem Tod und seiner Beerdigung. Was er ausließ, waren alle Wunder, Heilungen, Engel-Botschaften und die Auferstehung. Er vermutete, dass diese mirakulösen Erzählungen dazu erfunden wurden. 

Rund 100 Jahre später wurde die „Jefferson-Bibel“ von einer Urenkelin im Nachlass entdeckt und veröffentlicht. Die Bibel fand Anklang und wurde allen neuen Abgeordneten des Kongresses als Begrüßungsgeschenk überreicht. Das Leben Jesu als Richtschnur für das Regieren der USA.

Doch ist das Leben Jesu vollständig ohne seine Machterweise? Er wäre einer von uns, ein vorbildlicher Mensch, der Vorbild ist und zur Nachahmung einlädt. Erst seine Machttaten und die Berührung mit dem Unverfügbaren lassen erahnen, dass eine andere Wirklichkeit in unsere Welt eingreift, dass der Himmel offen ist und Jesu Möglichkeiten über uns hinaus in diese Richtung weisen.

Eine Begebenheit in Betanien, einem damals kleinen Ort in der Nähe von Jerusalem,  steht an der Schnittstelle zwischen Jesus und dieser anderen Wirklichkeit.

Es war kurz vor dem Passafest, wenige Tage, bevor Jesus in Jerusalem gekreuzigt wurde. Eine scheinbare Familiengeschichte weist über sich hinaus und wird ein Glaubensgespräch, das Jesus mit uns führen könnte.

Johannes 11,1+3+5
Ein Mann war schwer krank, Lazarus aus Betanien. Das ist das Dorf, in dem Maria und ihre Schwester Marta lebten. Die Schwestern ließen Jesus die Nachricht zukommen: »Herr, sieh doch! Dein Freund ist schwer krank!« Jesus liebte Marta und ihre Schwester und ebenso auch Lazarus.

Jesus wird gerufen
Martha, Maria und Lazarus waren Unterstützer und Freunde von Jesus. Von den Schwestern erfahren wir aus dem Lukasevangelium (Lukas 10,38-42), dass sie sehr unterschiedlich waren, die eine tatkräftig, pflichtbewusst und engagiert, die andere eher abwartend, gelassen, hörend.

Die beiden Schwestern holen Jesus nicht, sie geben ihm nur Bescheid. Jesus ist gerade auf der anderen Seite des Jordan in Sicherheit, es wird ihm nach dem Leben getrachtet, und seine Stunde ist noch nicht gekommen. Die Schwestern wollen ihn nicht in Todesgefahr bringen. So hoffen sie vielleicht auf eine Fernheilung wie beim Hauptmann von Kapernaum.

Was uns vielleicht selbstverständlich bei Freunden erscheint, hat hier Bedeutung: Jesus hat Lazarus lieb, auch den kranken Lazarus. Galt damals Krankheit doch als Zeichen der Gottverlassenheit oder Strafe, so wird hier ausdrücklich festgestellt, dass Jesu Liebe dem Kranken gilt. Jesus liebt Menschen, die an der Welt ohne Gott krank werden, in ihren Mühlen zerrieben oder von Schicksalsschlägen getroffen werden. Jesus ist nicht in erster Linie für die da, die zufrieden, gesund und glücklich sind, sondern für die, die unter den Auswirkungen unserer Welt, die von Gott entfernt ist, leiden. Er liebt uns in unserer Schwachheit, wir müssen ihm nicht Stärke demonstrieren, sondern können so sein, wie wir sind.

Die Schwestern und Lazarus laden ein, bei ihnen Platz zu nehmen:

  • Setze ich mich zu den Schwestern? Bringe ich Jesus Nachrichten von Menschen, die mir am Herzen liegen und für die ich Jesu Hilfe herbeisehne?
  • Ist mein Platz bei Lazarus? Bin ich bedürftig, schwach, auf Jesu Hilfe angewiesen?


Johannes 11,6-7+16
Jesus wusste also, dass Lazarus schwer krank war. Trotzdem blieb er noch zwei Tage an dem Ort,
wo er gerade war. Dann sagte er zu den Jüngern: »Lasst uns wieder nach Judäa gehen.«  Thomas, der auch Didymus genannt wird, sagte zu den anderen Jüngern: »Kommt, wir gehen mit – und sterben mit ihm!«

Jesus geht los
Wenn mich jemand anruft und mir sagt, dass jemand aus der Gemeinde schwer krank ist, fahre ich möglichst sofort los um ihn zu besuchen. Jesus dagegen wartet noch zwei Tage, warum? Um das Wunder größer zu machen? Um die Schwestern auf die Probe zu stellen? Um den Jüngern eine Lektion zu erteilen?

Zwei Erklärungsmöglichkeiten skizziere ich kurz:

  1. Jesu Stunde ist noch nicht gekommen. Der Weg nach Betanien ins Gebiet der Verfolger bedeutet, dass die Verhaftung sehr bald erfolgen wird. Doch nicht die äußeren Umstände läuten das Passionsgeschehen ein, sondern Gottes Regie, die offensichtlich das Passionsfest als Todeszeitpunkt Jesu im Blick hatte.
  2. Das Warten kann auch eine Unterrichtslektion für uns sein. Jesus steht nicht immer sofort mit dem Rot-Kreuz-Koffer vor der Tür, wenn wir ihn rufen. Das bedeutet weder, dass er uns nicht liebt, noch dass wir ihm egal sind. Bei Lazarus lernen wir, dass seine Liebe immer siegen wird, auch wenn alles dagegen spricht. Er wird handeln, wenn seine Stunde gekommen ist.
Was die Jünger zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, Lazarus ist inzwischen verstorben. Sie erhalten einen Einführungskurs in die Passions- und Osterwoche. Jesus wird Lazarus auferwecken, zunächst ins irdische Leben. Lazarus muss noch einmal sterben. Aber Lazarus Auferweckung deutet hin auf Jesus. Jesus wird für Lazarus am Kreuz sterben, statt Lazarus wird Jesus 3 Tage im Grab liegen. Wie Lazarus wird Jesus auferweckt werden, nicht in dieses Leben, sondern in das Leben bei Gott. Dorthin wird er alle an der Schwelle des Todes abholen, die ihm vertrauen.

Der Jünger Thomas bringt es auf den Punkt. Wenn Jesus jetzt losgeht, wird er mit ziemlicher Sicherheit sterben. Thomas entschließt sich mitzugehen und mit zu sterben.

Wieder können wir in die Rollen der Beteiligten schlüpfen:

  • Sind wir bei Lazarus? Wir sind sicher, sterben zu müssen, aber vertrauen auf Jesus, der unseren Tod gestorben ist, damit wir mit ihm in Ewigkeit leben?
  • Sind wir bei Thomas? Wir können die Lebensführungen nicht verstehen, fühlen uns hineingeführt in Hexenkessel aller Art. Stellen Jesus immer wieder die Frage: Warum führst du mich in so schwierige Situationen? Und hören die Antwort: Damit du glaubst, damit du vertraust, dass du auch in bedrohlichen und unverständlichen Lagen nicht allein bist, denn Jesus hat auch dich lieb.
Johannes 11,21+25-27
Marta sagte zu Jesus: »Herr, wenn du hier gewesen wärst, hätte mein Bruder nicht sterben müssen. Da sagte Jesus zu ihr: »Ich bin die Auferstehung und das Leben! Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer lebt und an mich glaubt, wird niemals sterben – in Ewigkeit nicht. Glaubst du das?« Sie antwortete: »Ja, Herr, ich glaube fest: Du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in diese Welt kommen soll!«

Jesus, wo warst du?
Die Frage von Marta ist oft auch meine Frage. Wo warst du bei den Angriffen auf Städte in Syrien? Wo warst du, als dieser Unfall passierte? Wo warst du, als jemand sich heillos in Schulden verstrickt hatte? Ich stelle mir vor, wenn Jesus da gewesen wäre, könnte jetzt alles anders aussehen. Syrien in Frieden, keine gebrochenen Beine, ein ausgeglichenes Konto. 

Jesus rechtfertigt sich nicht vor Marta. Er erklärt nicht, warum er scheinbar zu spät gekommen ist, sondern eröffnet eine neue Perspektive. Sterben ist schrecklich, ein brutaler Schmerz, jemand wird einem aus dem Herzen gerissen. Aber noch schlimmer ist, wenn Gott für uns stirbt, die Verbindung zu ihm gekappt wird. Der Kraftstrom seiner Liebe unterbrochen ist, sein Geist nicht mehr landen kann. Dann ist der Mensch sich selbst ausgeliefert. Er ist von menschlicher Liebe und Zuwendung abhängig, die nie genug ist. 

Jesus lässt nicht alle Toten aus ihren Gräbern auferstehen. Er heilt nicht alle kleinen Tode unseres Lebens, aber er bietet die Hand an:

  • Er ist das Leben.
  • Er ist das Kabel, das uns mit Gottes Liebe verbindet.
  • Er hält die Verbindung zu Gott im Leben und im Sterben.
Mit Jesus kann uns nichts von Gottes Liebe trennen, auch nicht der Tod. Glaubst du das? Glauben wir das? Wie sieht das konkret aus?

Wohl so, dass wir uns in Jesu Gegenwart begeben, uns bergen in seiner Hand, uns seinem Einfluss aussetzen. Er wird uns berühren, aufsuchen, uns Zeichen schenken – manchmal Tage später als erwartet.

Der Schluss dieser Szene ist fast nicht mehr wichtig. Jesus ruft Lazarus aus dem Grab ins Leben. Er nimmt vorweg, was am Ostermorgen geschehen wird. Gottes Macht durchbricht unsere Grenzen. Der Tod ist besiegt. Wir werden zwar noch körperlich sterben wie Lazarus ein zweites Mal sterben musste, aber Gott wird für uns nicht sterben, er öffnet uns den Himmel.

Die Jefferson-Bibel war arm, obwohl sie alle wichtigen Aussagen über Jesus enthielt. Wir brauchen diese Geschichten, die uns wie ein Kabel mit dem Himmel und Gottes Möglichkeiten verbinden. Das gibt Hoffnung auch für unseren Alltag.
Glaubst du das?

Cornelia Trick


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