Hör auf zu zweifeln
Gottesdienst am 07.04.2002 

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Ostern verlangt nach Fortsetzung. Letzten Sonntag haben wir ein Thema angerissen, das uns ganz unterschiedlich berührt hat. Es ging um das Seelsorgekapitel des Johannes, in dem er aufzeigt, wie unterschiedliche Menschen auf unterschiedlichen Wegen zum Glauben kamen. Die Schilderungen der ersten drei Personen ließen uns erahnen, wie Glaube an den Auferstandenen geschehen kann, aber auch wie er bei weitem nicht selbstverständlich ist. Gerade Petrus sah das leere Grab am Ostermorgen und verband damit nichts. Heute lernen wir drei weitere Geschichten kennen, eigentlich sind es nur zwei, aber die dritte ist unsere ganz persönliche Geschichte, in die wir uns einzeichnen können und sie wird von Johannes schon vorbereitet.

Johannes 20,19-23

Es war Abend geworden an jenem Sonntag. Die Jünger waren beisammen und hatten aus Angst vor den führenden Juden die Türen abgeschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: "Friede sei mit euch!" Dann zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Als die Jünger den Herrn sahen, kam große Freude über sie. Noch einmal sagte Jesus zu ihnen: "Friede sei mit euch! Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich nun euch." Dann hauchte er sie an und sagte: "Empfangt den Heiligen Geist! Wenn ihr jemand die Vergebung seiner Schuld zusprecht, ist die Schuld auch von Gott vergeben. Wenn ihr die Vergebung verweigert, bleibt die Schuld bestehen."

Die Jünger sind am Abend des Auferstehungstages beisammen, aber hinter verschlossenen Türen. Nach Jesu Kreuzigung waren sie alle auseinander gelaufen, jeder in eine andere Richtung. Nun hat sie das Zeugnis der Maria und vielleicht auch des Lieblingsjüngers zumindest mal zusammen gebracht. Sie waren in ihrer Trauer nicht mehr vereinzelt und zerstreut, sondern fanden sich zum Trost zusammen. Ob sie etwas von diesem Zusammensein erwarteten? Es trieb sie offensichtlich die Frage um, wie es mit ihnen weitergehen sollte? Ob es mit Jesus nun doch irgendwie weitergehen konnte? Wie die Erscheinung vor Maria zu verstehen war? Die Jünger hatten Angst, Angst vor den Feinden Jesu, die in Jerusalem ja noch bedrohlich nahe waren. Sie trauten den Feinden zu, dass sie die Jünger suchten und ihnen den Prozess machten, genau wie Jesus. So waren die verschlossenen Türen nur ein folgerichtiger Schutz. Sie empfanden die Macht der Feinde auf jeden Fall stärker als Jesus.

Und nun trat mitten hinein in ihre Schicksalsgemeinschaft der Auferstandene. Christus im AlltagEr ließ sich nicht durch verschlossene Türen aufhalten. Für ihn waren das keine Barrikaden. Er erwies sich schon dadurch stärker als alle Feinde, die an den Türen scheitern mussten. Jesus gab sich den Jüngern mit dem Friedensgruß zu erkennen: "Friede sei mit euch!" und er zeigte ihnen die Male seiner Kreuzigung. Der Friedensgruß knüpfte an Worte an, die Jesus seinen Nachfolgern beim letzten Essen gesagt hatte. Er sprach davon, dass die Jünger in der Welt Angst haben würden. Aber das sollte nicht das letzte sein. Denn er, Jesus, hat die Welt überwunden und würde den Jüngern von seinem Frieden geben.

Nun konnten die Jünger diese Worte verstehen. Denn Jesus besuchte sie ja mitten in Angst, als sie sich sorgenvoll fragten, wie es denn nun weitergehen sollte. Aber mit seinem Friedensgruß vollzog sich bei ihnen auch eine Veränderung. Sie spürten, dass die Angst vor den Mördern von ihnen abfiel. Sie sahen Jesus und wurden froh. Ja, Jesus hatte die Macht, sie aus dieser ausweglosen Lage hinter verschlossenen Türen heraus zu holen und ihnen eine Zukunft zu zeigen. 

Damit deutet die Geschichte schon hin auf unsere Gottesdienste, auf den Gottesdienst heute hier in Neuenhain. Wir kommen hier Sonntag Morgen zusammen. Der Alltag ist noch nicht weit hinter uns. Mancher und manche wird seine und ihre Sorgen nicht vor der Kirchentür lassen. Wir kommen zusammen und haben Angst. Doch Jesus tritt durch geschlossene Türen und unsere verschlossenen Herzen selbst in unsere Mitte. Er ruft uns aus unseren Sorgen heraus. Er lenkt unseren Blick auf ihn. Er spricht uns seinen Frieden zu. Er bestärkt uns, dass er unsere Not getragen hat, um uns zu retten. Er zeigt uns, dass er stärker ist als unsere Not.

Ich denke in diesen Tagen oft an die Menschen in Israel und in den palästinensischen Gebieten. Die Nachricht hat mich erschüttert, dass sich Palästinenser in der Geburtskirche Jesu in Bethlehem in Sicherheit gebracht haben und israelische Panzer davor postiert wurden. Ich frage mich, ob das nicht auch eine Situation werden kann, in der Menschen erfahren, wie Jesus sie durch von Angst verschlossene Türen aufsucht und ihnen Frieden zuspricht. Ich hoffe und bete dafür, dass die Kirche zu einem Ort der Begegnung mit Gottes Frieden wird.

Die Jünger wurden damals im ersten Sonntagsgottesdienst froh. Sie erfuhren, dass ihr Leben wieder Sinn bekommen hatte. Sie sollten den Geist Gottes empfangen, der sie mit Jesus verband. Sie sollten anderen von Jesus erzählen und sie einladen, selbst dem Lebendigen zu begegnen. Wie Johannes diese Beauftragung schilderte, werden wir erinnert an die Schöpfungsgeschichte ganz am Anfang der Bibel. Gott hauchte die ersten Menschen mit seinem Atem an und sie wurden lebendig. Jesus hauchte die Jünger an und erschuf sie neu. Sie waren nun Kinder Gottes, Geschwister Jesu und untereinander. Klar drückte der Evangelist auch aus, worauf es beim Weitersagen ankam. Die Jünger sollten erzählen, dass Jesus Sünden vergibt, dass er zu einer neuen Beziehung zu Gott verhilft. Wer jedoch dieses Angebot ablehnte, den sollten die Jünger nicht gewaltsam missionieren. Sie hatten den freien Willen des Gegenübers zu achten. In der Konsequenz hieß das jedoch, dass sie den Ablehnenden die Brücke zu Gott nicht zeigen konnten.

Was will uns diese Sonntagsgeschichte sagen?

Jesus tritt durch verschlossene Türen der Angst. Er spricht seinen Frieden zu, der einen Ausweg aus der Angst aufzeigt. Jesus gibt sich als Herr dieser Welt zu erkennen und beschenkt mit seinem Geist, um anderen von ihm weiterzusagen. Ihm zu begegnen macht froh und sprengt die Türen der Angst von innen. Damit ist diese Begegnung im Jüngerkreis eine Geschichte für die christliche Gemeinde. Das Woher und Wohin ist klar umrissen. Es geht hier darum, dem lebendigen Jesus zu begegnen, von ihm ermutigt zu werden und durch seinen Geist einen Auftrag zu bekommen. Und es ist deutlich, dass dieser Auftrag uns wieder in unseren Alltag schickt, um anderen das Evangelium von der Vergebung weiterzusagen.

Eine Woche später findet der 2. christliche Sonntagsgottesdienst statt:

Johannes 20,24-28

Als Jesus kam, war Thomas, genannt der Zwilling, einer aus dem Kreis der Zwölf, nicht dabei gewesen. Die anderen Jünger erzählten ihm: "Wir haben den Herrn gesehen!" Thomas sagte zu ihnen: "Niemals werde ich das glauben! Da müsste ich erst die Spuren von den Nägeln an seinen Händen sehen und sie mit meinem Finger fühlen und meine Hand in seine Seitenwunde legen - sonst nicht!" Eine Woche später waren die Jünger wieder im Haus versammelt, und Thomas war bei ihnen. Die Türen waren abgeschlossen. Jesus kam, trat in ihre Mitte und sagte: "Friede sei mit euch!" Dann wandte er sich an Thomas und sagte: "Leg deinen Finger hierher und sieh dir meine Hände an! Streck deine Hand aus und lege sie in meine Seitenwunde! Hör auf zu zweifeln und glaube!" Da antwortete Thomas: "Mein Herr und mein Gott!"

Eine Woche später feierten die Jünger wieder hinter verschlossenen Türen Gottesdienst. Hier stehen die verschlossenen Türen offensichtlich nicht mehr für die Angst der Jünger vor den Feinden. Hier liegt die Betonung darauf, dass es für Jesus keine offenen oder geschlossenen Türen mehr gibt. Er kommt zu seiner Gemeinde und ist mit seinem Frieden in ihrer Mitte. Diesmal ist auch der Jünger Thomas dabei. Thomas fehlte beim ersten Gottesdienst am Ostersonntag. Er glaubte den Jüngern nicht, was sie von Jesu Erscheinen und von seinem Auftrag erzählten. Von ihm berichtet der Evangelist an früherer Stelle (Johannes 11,16), dass er sich nach Jerusalem auf den Weg machen wollte, um mit Jesus dort zu sterben. Für Thomas war es nur folgerichtig, dass Jesus in Jerusalem gekreuzigt wurde. Was sollten die Erzählungen der Jünger? Sie passten nicht in seine Vorstellung.

Umso überraschter muss Thomas nun sein, als der Auferstandene sich ihm ganz persönlich zuwendet. Er gibt ihm Einzelunterricht mitten im Gottesdienst, so wie es schon Maria am Ostermorgen vor dem Grab erlebte. Er spricht Thomas auf seine Zweifel an, bevor der überhaupt zu Wort gekommen ist.

Das Thomas- Problem ist: "Ich glaube nur, wenn..." Ist das nur ein Thomas- Problem? Kennen wir das nicht, Bedingungen zu nennen, wann wir glauben? Wenn Jesus meine kranke Mutter gesund macht, dann glaube ich. Wenn Jesus mir ein deutliches Zeichen vom Himmel gibt, dann glaube ich. Wenn der Mann wieder zurückkommt von seiner Affäre, dann glaubt sie, dass es Jesus gibt...

Unzählige Wenn - dann - Bedingungen ließen sich hier aufführen. Doch meine ich, alle Wenn - dann - Fragen lassen sich grob in zwei Abteilungen aufteilen, die unechten und die echten Thomas- Fragen.

Die unechten sind für mich solche, wo von vornherein festgelegt ist "ich will gar nicht glauben und suche nun möglichst stichhaltige Argumente, um meinen Unglauben zu zementieren." Das ist so, wie wenn "Eva" sich jahrelang mit der Frage herumschlägt, ob sie nun "Adam" heiraten soll oder nicht. Ständig nervt sie ihre Freunde mit den immer gleichen Argumenten. "Ich würde ihn ja heiraten, wenn er nicht immer so viel arbeiten würde, sich von seiner Mutter etwas ferner hielt, seine berufliche Laufbahn mehr im Blick hätte, mir mehr Aufmerksamkeit schenken würde..." Eva selbst meint, dass sie wirklich immer noch erwägt, Adam zu heiraten. Ihre Freunde wissen es längst besser. Eva liebt es, mit der Möglichkeit zu spielen, aber heiraten will sie überhaupt nicht, jedenfalls sicher nicht Adam. Armer Adam!

In Glaubensdingen kann es ganz ähnlich sein. Selbst wenn Jesus sich leibhaftig zeigte, hieße das noch lange nicht, dass der unechte Thomas- Frager zum Glauben käme. Er würde sicher bald eine neue Wenn - dann - Bedingung erfinden.

Ganz anders der echte Thomas- Frager. Er oder sie sagt von sich "Ich will glauben, aber ich kann es nicht. Im Stillen beneide ich die anderen, die da im Gottesdienst sitzen und sich Frieden schenken lassen. Deshalb komme ich auch hin und wieder in Gottesdienste. Vielleicht springt der Funke ja mal auf mich über. Ich will ihn auf keinen Fall verpassen!" Jesus wendet sich dem Thomas und mit ihm allen, die in seiner Haut stecken, zu. Er lässt sich auf die Bedingungen des Zweiflers ein. Er tut sie nicht ab als unpassend, zu weit gehend oder pietätlos. Er gibt Thomas die Möglichkeit, ihn wirklich zu berühren. Doch das ist nun nicht mehr nötig. Thomas ist persönlich angesprochen worden und das genügt wie bei Maria, um ihn zu überzeugen, dass Jesus lebt. Er bekennt "mein Herr und mein Gott", der Funke der österlichen Gemeinde ist auf ihn übergesprungen.

Was will uns diese Sonntagsgeschichte eine Woche nach Ostern sagen?

Jesus zu vertrauen ist nicht einfach und nicht immer selbstverständlich. Das Zeugnis der anderen genügt nicht, sondern die persönliche Begegnung ist wichtig. Jesus begegnet den echt Zweifelnden - auch hier im Gottesdienst. Er gibt ihnen hier Privatunterricht von Herz zu Herz. Die Gemeinde ist für den Rahmen verantwortlich. Sie ist aufgerufen, zu dieser Begegnung einzuladen, sich nicht selbstgenügsam am Sonntag Morgen in der Kirche zusammen zu kuscheln. Die Gemeinde kann darum beten und damit rechnen, dass hier konkret etwas geschieht, dass Jesus durch verschlossene Türen aller Art kommt. Was die Geschichte mich ganz besonders lehrt: die Zweifelnden als ein besonderes Geschenk zu achten, denn sie sind Jesus besonders wichtig.

Aber noch eine letzte Geschichte wird im Seelsorgekapitel des Johannes angeschnitten. Sie ist kurz und knapp in einem Satz formuliert:

Johannes 20,29

Jesus sagte zu ihm: "Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Freuen dürfen sich alle, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!"

Mit diesem Satz findet das 20. Kapitel seinen Schlusspunkt und bildet zugleich einen dicken Doppelpunkt:
Begonnen hatte es mit dem Lieblingsjünger, der kam, sah und glaubte. Wir, die nachösterliche Gemeinde, kommen hier zusammen, sehen noch nicht einmal ein leeres Grab und glauben. Wir werden selig gepriesen, weil wir glauben, obwohl wir allein die sprachliche Vermittlung, die Anrede der Bibel haben.

So heißt es in Jesaja 43,1: "Fürchte dich nicht, ich befreie dich! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst mir!" Und Jesus sagt von sich als dem guten Hirten in Johannes 10,3: "Der Schafhirt geht durch die Tür hinein; die Schafe erkennen seine Stimme; er ruft die, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie ins Freie."

Jesus begegnet persönlich in seinem Wort und in seinem Zuspruch. Er möchte durch unsere verschlossenen Türen treten und uns einladen in die Gemeinschaft mit Gott.

  • Sind wir bei den Seligen, die sich freuen dürfen?
  • Oder sind wir unterwegs, um Jesus persönlich zu begegnen?
  • Wie sieht Ihre Glaubensgeschichte aus?
  • Kommen Sie in einer der Begegnungen aus dem Seelsorgekapitel vor?
Dann erzählen Sie jemand Nahestehendem davon. Vielleicht ist es für ihn oder sie Einladung, dieses Thema aufzugreifen und ihm nachzugehen.

Die Ostergeschichte hat verschiedene Perspektiven und Zugänge. Es ist eine Mutmachgeschichte. Jesus lebt und bringt Frieden - auch heute!

Cornelia Trick


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