|
|
|
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern
und Brüder,
Wie ein toter Bahnhof können wir Menschen sein. Als Geschöpfe Gottes haben wir Ohren, um auf Gott zu hören. Wir haben Herzen, um Gottes Liebe zu empfangen. Wir haben Hände, um Gottes Liebe weiterzugeben. Aber die Verbindung zu Gott fehlt. Es führen keine Gleise vom Menschen zu Gott. Und auch die Beziehung zu den Nächsten ist gestört, die Gleise fehlen. Der Mensch wird einsam, bleibt ohne Nachschub und Austausch, geht sich selbst verloren. Die religiösen Bücher sind wie Kursbücher im toten Bahnhof. Die Kirchengliedschaft ist wie die Fahrkarte, die niemand braucht. Die Kraft Jesu kommt nie an, weil die Gleise fehlen. Gott hat sich mit toten Bahnhöfen nicht abgefunden. Mit seinem Sohn Jesus baute er ein neues Schienennetz, das auch den entferntesten Bahnhof erreichen sollte. Auf den Schienen transportiert er bis heute seine Liebe direkt in die Herzen der Menschen. 1.Johannes 4,7-12 Der erste Johannesbrief ist in schwerer Zeit geschrieben worden. Die jungen Hausgemeinden in der Tradition des Lieblingsjüngers haben eine Spaltung erlebt. Zwei Parteien haben sich gebildet, die beide für sich in Anspruch nehmen, das Johannesevangelium richtig auszulegen. Durch den 1.Johannesbrief können wir ein wenig rekonstruieren, warum sich zwei Flügel in der Gemeinde bildeten. Die einen sagten: Jesus ist als Sohn Gottes in die Welt gekommen, um uns durch Kreuz und Auferstehung zu erlösen. Wie er als Mensch war, was er sagte und tat, ist völlig unwichtig. Auch ist unwichtig, was Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu tun. Es kommt nicht auf ihre Taten an, sondern ob sie an Jesus glauben. Mit ihrem Glauben sind sie nämlich schon aus dem Bereich der Sünder befreit. Jetzt leben sie wie in einem anderen Land, da hat die Sünde keinen Zugriff mehr. Der 1.Johannesbrief wirft dieser Partei vor, Jesus nicht ernst zu nehmen. Sein Leben, Lehren und Handeln ist nicht nebensächlich, sondern als Vorbild wichtig. Was Jesus sagte, lehrte und tat, ist wichtige Richtschnur für das Leben seiner Nachfolger. Und auch seine Liebe gilt es zu leben. Indem die anderen sich von dem 1.Johannesbrief-Flügel trennen, verraten sie Jesu Liebe und geben sie preis, dass die Sünde sie noch im Griff hat. Der 1.Johannesbrief kämpft für die Einheit im Glauben und Handeln, in der Lehre und in der Liebe. Er wirft den anderen vor, dass sie ihr Bahnhofsgebäude nur scheinbar an die Schienen Gottes angeschlossen haben, aber die Container voller Liebe nutzlos im Gebäude verkommen lassen – ja, sie noch nicht einmal auspacken. Wir sind heute nicht in dieser Situation. Wir lesen den Brief nicht als Rechtfertigung und Kampfschrift gegen Abtrünnige. Wir tauchen ein in die Wahrheit, dass wir nur leben können, wenn wir eingebunden sind in Gottes Schienennetz und unsererseits weder Sackbahnhof oder Rangierbahnhof, sondern Durchgangsbahnhof werden. Gott ist Liebe … Deshalb, um uns zu gewinnen, ließ er Jesus die Schienen neu zu uns legen. Er wollte uns wieder seine Liebe zukommen lassen. Er wollte uns spüren lassen, dass er seine Zusage: „Ich bin bei dir!“ ernst meinte. Wer Gottes Liebe annimmt, die Gleise bis in sein Herz bauen lässt und die Container auspackt, der hat das beste Vorbeugemittel gegen die Sünde gefunden. Wer mit Jesus lebt und sich täglich in den unterschiedlichsten Situationen fragt: „Was würde Jesus tun?“, der oder die wird Jesus ähnlicher werden und bei ihm bleiben. … verändert den Bahnhof Diese
neuen Gleise werden zuerst zu den nächsten Menschen führen, zur
Familie, den engen Freunden, aber eben auch zu den Brüdern und Schwestern
Jesu in der eigenen Gemeinde. Wer würde schon Gleise legen, die als
Ziel etwa London haben und sogar einen Tunnelbau einschließen. Nein,
wer Liebe Gottes weitergeben will, kann das nicht direkt von hier nach
Afrika tun, es braucht Zwischenstopps, Bewährungsstationen, bis die
Liebe Afrika erreicht. Um diese Nächsten geht es im 1.Johannesbrief.
Sie sollen die Liebe Gottes abbekommen. Wer die Liebe seinen Nächsten
in der Gemeinde verweigert, so formuliert es der 1.Johannesbrief scharf,
ist nicht von Gott beauftragt, sondern von seinem Widersacher.
… ermöglicht neue Gleise … Liebe geht weiter Man hat unterschiedliche Ansichten zu bestimmten Themen, die die Bibel nicht so genau beschreibt. Man hat auch unterschiedliche Antworten auf die Frage, was Jesus tun würde. Man ist sich in die Quere gekommen, hat sich verletzt, beleidigt. Kränkende Geschichten hängen einem nach, die man nicht einfach vergessen kann. Man kennt sich über die Zeit „zu gut“. Die Vorerfahrungen machen taub für die Gegenwart – wie die verbrannte Zunge, die alles pelzig schmecken lässt, egal ob süß, sauer oder bitter. Was hilft in diesen alltäglichen
Situationen?
Was uns beieinander hält, sind die Gemeinsamkeiten, die wir viel stärker thematisieren sollten, statt uns an den Unterschieden zu laben. Und was uns zusammenschweißt, sind gemeinsame Glaubenserfahrungen: das gemeinsame Gebet, das gemeinsame Ringen um den Weg in die Zukunft ohne Tabus und Denkverbote, das gemeinsame Hören auf Gottes Weisung in der Stille. Zusammenwachsen können wir nur, indem wir uns Zeit lassen. Unsere gemeinsamen Beziehungen sollen ja Früchte tragen. Kein Apfelbaum wird einen Tag nach dem Pflanzen des Apfelkerns schon Äpfel hervorbringen. Das braucht Jahre. Warum nehmen wir uns nicht auch Zeit füreinander? Die noch größere Herausforderung für die Liebe zueinander stellen Streit und Verletzungen dar. Jesus fordert uns auf, einander unbegrenzt oft zu vergeben. Was im Alltag fast übermenschlich ist. Wir können es nur, weil wir an Gottes Liebe angeschlossen sind und Vergebung am eigenen Leib erfahren. Auch wenn wir nicht mehr ein Bahnhof sind, der tot ist, so hat doch das Böse noch Macht über uns und bringt uns oft genug dazu, uns der Liebe Gottes zu verweigern und Gleise zu bauen, die ins Nichts führen. Jesus sagt uns zu, dass Gott uns vergibt, immer wieder neu. Und dass er uns weiter an seine Liebe anschließt. Das erwartet er auch von uns – auch im schwierigen Nahbereich der Gemeinde – auch trotz unserer Erfahrungen und der „pelzigen Zunge“. Auch das Vergeben ist eine Haltung und eine bewusste Entscheidung. Sie wächst im persönlichen Gebet, sie braucht das Gespräch und sie geschieht nicht von heute auf morgen. Wie beim Weitsprung ist für einen guten Sprung der Anlauf entscheidend. Je weiter und intensiver der Anlauf, je besser der Schwung. Um Vergeben zu können, braucht es Abstand, Anlauf und Intensität beim Beten. So kann Gott Wunder tun und Herzen zueinander wenden, dass neues Miteinander entsteht. Wie die Bundesbahn für ihr Schienennetz ständig Sorge trägt, so dürfen wir das Miteinander nicht vernachlässigen. Wenn wir eine Störung bemerken, ist es vielleicht heute dran, sie im Gebet vor Gott zu bringen und ihn zu bitten, dass er hilft, die Gleise zu reparieren. So kann seine Liebe weiterfließen von dieser Gemeinde zu den Menschen in unserer Umgebung. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen. Cornelia
Trick
|