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Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Doch ich merke, dass ich mich da nicht so leicht heraushalten kann. Irgendwie komme ich doch auch als Mitspielerin darin vor. Wenn ich Klinikärztin wäre und ein Vertreter würde mir einen Reisegutschein in den sonnigen Süden dafür schenken, dass ich sein Präparat kaufe, das ich sowieso kaufen wollte? Würde ich da wirklich dankend ablehnen und sagen, dass ich keine Geschenke annehmen darf? Bei den vielen Überstunden, die ich im Krankenhaus leisten muss? Und wenn mir jemand eine Spende für die Gemeinde anbieten würde mit der kleinen Bedingung, seine Fenster einbauen zu lassen, die wir ja sowieso brauchen? Würde ich ablehnen und fest sagen, dass wir auf das Geld pfeifen können? Ja, das würde ich wohl als Pastorin sagen, aber als Geschäftsführerin einer Partei? So gehen mir die Skandale ganz schön unter die Haut, mit Schulterzucken ist nichts, auf einmal fühle ich mich selbst auf dem Prüfstand meiner Ehrlichkeit und meines Gottvertrauens. Ich frage mich, was Christen in diesen Tagen zu sagen haben. Ist es nicht mehr als ein verächtliches Schulterzucken der scheinbaren Saubermänner und -frauen? Heute feiern wir Palmsonntag. Es ist ein besonderer Sonntag. Besonders, weil er unter der Überschrift des Jubels steht, des Jubels über Gottes Gegenwart mitten in schweren Zeiten. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, der Stätte seiner Hinrichtung. Er hat seine Nachfolger und Nachfolgerinnen darauf vorbereitet. Er wusste, was ihn in Kürze erwarten würde. Und doch steht am Anfang dieser Leidenswoche nicht der Abschiedsschmerz, sondern das Hosianna, die Freude und das Gotteslob. Sollte das etwas mit unserem Zeitgeschehen zu tun haben? Blitzt dort wie hier nicht etwas auf von Gottes Gegenwart mitten im Kern der Not, der Trennung von Gott, der Schuld und dem eigenen nicht mehr weiter Können? Ich lese diese Geschichte von damals deshalb für mich als eine Zeitansage heute. Matthäus 21,1-11 Dein König kommt jetzt zu dir! Er verzichtet auf Gewalt. Er reitet auf einem Esel und auf einem Eselsfohlen, dem Jungen eines Lasttiers." Die beiden Jünger gingen hin und taten, was Jesus ihnen befohlen hatte. Sie brachten die Eselin und ihr Junges und legten ihre Kleider darüber, und Jesus setzte sich darauf. Viele Menschen aus der Menge breiteten ihre Kleider als Teppich auf die Straße, andere rissen Zweige von den Bäumen und legten sie auf den Weg. Die Menschenmenge, die Jesus vorauslief und ihm folgte, rief immer wieder: "Gepriesen sei der Sohn Davids! Heil dem, der im Auftrag des Herrn kommt! Gepriesen sei Gott in der Höhe!" Als Jesus in Jerusalem einzog, geriet alles in große Aufregung. "Wer ist dieser Mann?" fragten die Leute in der Stadt. Die Menge, die Jesus begleitete, rief: "Das ist der Prophet Jesus aus Nazaret in Galiläa!" Jesus zieht in Jerusalem ein. Er nimmt die Vorhersage des Propheten Sacharja für sich in Anspruch und kommt als der verheißene neue Gesandte, der Heil und Frieden bringen wird. Die Jünger verstehen. Sie erfüllen seinen Auftrag ohne Widerrede. Dem von Gott eingesetzten Herrn wird niemand seinen Weg versperren, auch nicht der Eigentümer eines Esels. Jesus erklärt den Jüngern und so auch uns seinen Anspruch. "Dein König kommt jetzt zu dir". Erstmal ist das zu Jerusalem gesprochen. Aber Jesus geht es immer um den Einzelnen und die Einzelne. Er will nicht Städte zur Umkehr rufen, sondern Menschen. "Dein König kommt jetzt zu dir" ist also eine sehr persönliche Zeitansage. Jesus kommt zu mir. Er steht vor den Toren meines Lebens und beansprucht, die erste Position einzunehmen, die Regierungsverantwortung für mein Leben zu übernehmen. Er kommt jetzt, es gibt keinen Termin irgendwann in der Schwebe. Heute und hier wird sich das ereignen, dass Jesus kommt und ich mich ihm gegenüber zu verhalten habe. Wie ist es vor den Toren Jerusalems weitergegangen? Die Menge verstand. Sie hatte Jesus erfahren. Viele von ihnen kannten Jesus, weil er ihnen im Kern ihrer Not begegnet ist. Kurz davor hatte Jesus zwei Blinde am Straßenrand vor Jericho getroffen. Sie riefen Jesus: "Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit uns!" Und Jesus fragte zurück: "Was wollt ihr? Was soll ich für euch tun?" "Herr!", sagten sie, "wir möchten sehen können." Und Jesus heilte sie. Diese Begegnung zwischen Jericho und Jerusalem steht für viele andere. Die Blinden, die nicht sehen konnten, sahen tiefer. Sie erkannten, dass Jesus der verheißene Sohn Davids war, der alles ändern sollte. Sie vertrauten sich ihm an. Sie erfuhren, dass Jesus sie ihm Kern ihrer Not berührte, ihnen das Augenlicht gab. Und wenn wir diese Begegnung auf uns wirken lassen, dann finden wir uns alle darin wieder. Es geht darum, in der Not die Augen für Gott geöffnet zu bekommen, Jesus als Gottes Sohn zu sehen, der uns mit Gottes Liebe berühren und heilen will. Die Menschenmenge, die Jesus vor den Toren Jerusalems vorauslief und ihm folgte, sah hinter dem reitenden Mann aus Nazareth diese andere Wirklichkeit aufleuchten. Gottes Erbarmen, das anrührte und veränderte und das die Welt und ihre Skandale in ein neues Licht rückte. Die Leute feierten Jesus als den kommenden Friedensbringer und Gottesboten mitten in unfriedlicher und gottloser Zeit. Gehören wir Palmsonntag 2002 zu dieser Menge? Teilen wir deren Erfahrung, dass Jesus uns im Kern unserer Not trifft? Da ist jemand von uns krank wie die zwei Blinden am Straßenrand. Da ist jemand in der Klemme wie die 3600 Klinikärzte. Da steckt jemand in einer schwierigen Gewissensentscheidung. Da fühlt sich jemand übergangen und will sich wehren. Da hat jemand Angst vor morgen und weiß nicht, wo der Weg ihn hinführt und wann der Absturz kommt. Sie erleben wie wir Palmsonntag 2002 und sind aufgefordert, auf Jesus zu sehen, weil der auch ihnen in die Augen und ins Herz sehen will. Es ist die Einladung an uns, mit der Menge am Straßenrand Jesus willkommen zu heißen, ihn anzubeten, zu singen, uns seine Gegenwart zusprechen zu lassen. Nichts anderes geschieht hier im Gottesdienst. Wir stimmen ein in die großartige Erwartung, dass sich eine Wende vollziehen wird. Wie diese Wende geschieht, hat Jesus bereits angedeutet. Er verzichtet auf Gewalt. Er reitet nicht auf einem römischen Kampfross, sondern auf einem Esel. Er lässt sich nicht von den Stadtoberen inthronisieren, sondern vom einfachen Volk. Und er reitet nicht zum Palast, sondern zum Kreuz. Seine Herrschaft ist das Gegenteil von Unterdrückung und Ausbeutung. Er dient und trägt das Leid der Welt für uns. Gehören wir zur Menge, die von Jesus etwas
erwartet? Ich stelle mir vor, wie Leute am Wegrand unterschiedlich mit
ihren Palmwedeln
Und so zücken sie das Messer und schnitzen
aus dem Palmzweig die Rute Für mich ist dieser Sonntag eine wichtige Haltestelle auf meinem Weg. Ich möchte mich an die Alternativen erinnern lassen, die vor mir liegen.
Und die, die die Peitsche schon zurecht schneiden? Die nicht nach Gottes Willen fragen und alles tun, um ihre Macht zu erhalten? Die sich auf Kosten der Kleinen bereichern und das noch schön färben? Auch für sie ist Jesus in diese Welt gekommen. Auch sie lädt er wieder und wieder ein, seinem Angebot des wahren Lebens mit Gott zu vertrauen. Manchmal muss die eigene Macht erst in Trümmer fallen, manchmal genügt ein Anstoß von außen, ein Wort eines Freundes, ein Vortrag oder ein Artikel in einer Zeitschrift, um die Augen für Jesus zu öffnen. Manchmal nimmt Jesus auch uns, die Menge am Weg, in die Pflicht, um Zeugnis von Jesus zu geben und in seinem Namen für sie zu beten. Die Skandale unserer Tage beschäftigen mich. Und sie laden mich ein, noch viel mehr von Jesus zu erwarten. Denn er lässt mitten in diesen Zeiten schon das helle Licht von Ostern auf die Schlagzeilen fallen. Ich möchte für die einzelnen Beteiligten beten, dass sie in den Trümmern ihres Aufstiegs Jesus begegnen. Cornelia
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