Glaube praktisch (Kolosser 4,2-6)
Gottesdienst am 04.09.2011

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
eine unserer Töchter blieb dieses Jahr während unseres Sommerurlaubs zuhause. Ich erinnere mich noch gut, wie ich ihr kurz vor der Abfahrt mehrmals die selben Hinweise gab: „Denke an die Mülltonnen, gieß die Blumen, nimm dir Essen aus der Kühltruhe, arbeite nicht soviel, lade dir Freunde ein, denk an die Meerschweinchen …“ Es war eine Sammlung von letzten Wünschen und Anweisungen, damit das arme Kind nichts vergisst, nicht verhungert und nicht an Einsamkeit zugrunde geht. Ich erinnere mich auch an den genervten Gesichtsausdruck meiner Tochter, der mir signalisierte: „Ich weiß das doch alles, du hast mir einen Zettel geschrieben, vertrau mir doch einfach.“ Und ich hoffe, dass meine Tochter hinter ihrem Blick registrierte, dass sie mir wichtig ist und ich deshalb nicht müde wurde, mich zu wiederholen.

Der Apostel beendet den Kolosserbrief mit einer ganzen Sammlung guter Wünsche und Ratschläge. Wir könnten wie genervte Kinder versucht sein wegzuhören. Klar, was er schreibt, haben wir schon oft gehört, es gibt eine ganze Bibel voll davon. Vielleicht hören wir hinter den Aufforderungen auch die andere Botschaft: dem Apostel sind die Kolosser wichtig. Deshalb will er sie vor dem Irrtum bewahren, Glaube würde einen mit der Rolltreppe in den Himmel befördern. Er will ihnen noch einmal ganz eindringlich einschärfen, auf dem Weg mit Jesus zu bleiben, der viele Kreuzungen passiert und nicht immer leicht von anderen Wegen zu unterscheiden ist.

Kolosser 4,2-6

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das  Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muss. Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt. 

Erinnern wir uns kurz, was diesen Schlussworten voranging. Christus, so stellt es Paulus heraus, ist Fundament der gesamten Schöpfung und Brücke zu Gott. Er holt uns in die Gemeinschaft mit Gott, indem er alles Trennende am Kreuz auf sich genommen hat. Wen Jesus in die Gemeinschaft mit Gott holt, dem schenkt er neue Kleider, nämlich seine Liebe, die sich im neuen Lebenswandel äußert. Doch um die neuen Kleider anzulegen, müssen die alten abgelegt werden. Das geschieht nicht in einem Moment, etwa bei der Taufe, sondern ist ein lebenslanger Prozess. Paulus schrieb den Kolosserbrief, um der Gemeinde einen neuen Impuls zu geben, die alten Kleider wirklich abzulegen. Er schrieb diesen Brief als eine Art Glaubenskurs für Christen, um sie anzuleiten, das neue Leben in Jesus Christus zu ergreifen und nicht im alten Leben stecken zu bleiben.

Die neuen Kleider verändern unser Leben und Zusammenleben. Die direkte Verbindung zu Jesus und seine Kraft machen den Unterschied. Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Vergebung und Liebe wachsen und verändern durch uns auch unsere Umgebung.

Die Zusammenfassung am Schluss könnten wir auch in einem Bild ausdrücken: Unser Leben ist wie ein Spinnennetz. Es bekommt seine Stabilität nicht durch die zig Querfäden hin und her, sondern durch einen einzigen Faden, der das Spinnennetz von oben hält. Reißt dieser Faden, fällt das Netz in sich zusammen. Wird der Faden stabil, kann das Netz wachsen und wachsen. Deshalb sollten wir in diesen „Faden nach oben“ investieren, der gibt uns Halt und Stärke.

Glaube wird praktisch im Gebet

Paulus beschreibt hier das Gebet als eine Lebensäußerung und keine spezielle Frömmigkeitsübung. Beharrlich soll die Gemeinde beten. Ich habe mich gefragt, wo der Begriff „beharrlich“ im normalen Leben auftaucht. Dabei denke ich daran, beharrlich Unkraut zu jäten, weil es immer wieder kommt, wenn man nicht dranbleibt. Ich denke an regelmäßiges Zähneputzen, das keinen großen Spaß verspricht, aber sehr sinnvoll ist. Auch der Sport zählt zu den beharrlichen Tätigkeiten, bei denen man immer wieder den inneren Schweinehund überwinden muss, um beweglich zu bleiben. Und manche Arbeit lässt sich auch nur mit Beharrlichkeit erledigen, wenn sie Ausdauer und Einsatz abverlangt und sich der Erfolg nicht gleich einstellt. 

Beharrlich steht für ausdauernd und regelmäßig auch gegen Widerstände in sich selbst und von außen, unabhängig von Erfolg und Stimmungslage. Beharrlich beten bedeutet also, auch in Stimmungsschwankungen und gegen Widerstände mit Gott in Kontakt zu bleiben, die Leitung nicht einfach abzuschneiden. Widerstände treten vielfältig auf. Da flüstert mir eine Stimme ein „Beten bringt doch jetzt auch nichts“, und ich fange an zu zweifeln. Bleibt mein Gebet an der Zimmerdecke hängen? Oder ich bin zu abgelenkt, um mich auf ein Gespräch mit Gott zu konzentrieren. Ich höre alle anderen Stimmen lauter, es ist, als ob ich mitten in einem Rockkonzert stehe, während Gott vor der Halle steht und mit mir reden will – keine Chance. Vielleicht fällt es mir auch einfach schwer, im Gespräch mit Gott beim Thema zu bleiben. Meine Gedanken sind wie ein Schwarm Fliegen, die in die Freiheit gelassen werden – überall und nirgends. 

Mit diesen Widerständen zu beten, ist nicht ungewöhnlich. Deshalb betont Paulus, beharrlich am Gebet festzuhalten. Der Lebensfaden verbindet mit Gott. Auch wenn es nicht immer leicht fällt, muss der Lebensfaden stark bleiben, sonst bricht alles zusammen.

Paulus führt aus, wie das Gebet aussehen kann. Die Beter sollen wachsam sein und danken. Wachsam zu sein ist hier aber kein Aufruf zum 24-Stunden-Gebet, sondern vielmehr eine Erinnerung, wach für Gottes Reden zu bleiben. Auf Empfang sollen wir unsere Herzen und Ohren stellen, in unserem eigenen Reden innehalten und Gott zuhören. Unsere Sinne sollen wir für sein Reden schärfen, wie wir schon von Weitem jemand Bekanntes am vertrauten Gangbild erkennen. 

Unsere Sinne schärfen wir anhand der Bibel und besonders der Jesus-Begegnungen. Hier begegnet uns ja auch heute Jesus ganz hautnah und will uns etwas sagen, das in unsere Situation passt. 

Warum sollen wir ausdrücklich danken? Ist es nicht selbstverständlich, nach erfahrener Hilfe Gottes zu danken? Ich verstehe Paulus hier so, dass er uns zeigen will, wie wir Gott im Gebet mehr zutrauen können. Stellen Sie sich vor, sie stehen von einem hohen Berg. Die Aufgabe ist, diesen Berg zu überwinden. Wie geht es Ihnen dabei? Kennen Sie das Gefühl überfordert zu sein, Angst zu haben vor diesem langen, unbekannten Weg? Jetzt sagt Paulus, dass wir erstmal danken sollen. Wir erinnern uns an die mit Gottes Hilfe bezwungenen Berge der Vergangenheit. Wir steigen in Gedanken noch mal auf sie und danken Gott für diese Erfahrung. Von diesem nun erhöhten Standpunkt schauen wir wieder auf den Berg vor uns. Er ist nicht kleiner geworden, aber unser Startpunkt ist höher, die Differenz zwischen unserem Standpunkt und dem Gipfel ist geringer geworden. Hat Gott mir auf den letzten Berg geholfen, wird er mir auch beim nächsten helfen. Unser Gebet ist erhörungsgewisser und vertrauender mit diesem Danken im Rücken.

Nicht nur die von uns bezwungenen Lebensberge bringen wir im Dankgebet, sondern auch die, die unsere Schwestern und Brüder geschafft haben. So werden ihre Glaubenserfahrungen zu unseren und ermutigen zum Weiterbeten.

Paulus nennt eine konkrete Fürbitte. Die Gemeinde soll darum beten, dass Gott eine Tür für das Evangelium öffnet. Nicht seine Befreiung aus der Gefangenschaft steht im Mittelpunkt, sondern Gottes Wirken in dieser Welt. Bleibt dieses Anliegen nicht bis heute wichtig? Dass das Evangelium in die Welt geht, Menschen Jesus Christus begegnen und mit ihm leben wollen? Dass Gott uns dahin sendet, wo Menschen vorbereitet auf die Gute Nachricht sind? In einer Sitzung vor ein paar Tagen sprachen wir über diese Gemeindebitte um offene Türen. Wir kamen zu dem Schluss, dass das auch unser gemeinsames Anliegen sein sollte. Wir beten viel füreinander und wollen dabei auch im Blick haben, dass jeder und jede Einzelne etwas von Gottes Licht und Liebe in seine Umgebung trägt. Es gibt hier keinen Paulus, der diese Arbeit stellvertretend für uns übernehmen könnte. Wir alle sind gefragt, für die offenen Türen zu beten und sie dann auch mutig zu durchschreiten.

Glaube wird praktisch im Lebenswandel

Gebet ist nicht das Einzige, das Paulus uns ins Herz schreibt. Er gibt uns mit, uns weise in der Welt zu verhalten und die Zeit auszukaufen. Unser Verhalten ist die eigentliche Werbung für Jesus. Wir könnten jeden Tag ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jesus liebt dich“ tragen. Wenn wir uns nicht Jesus entsprechend verhalten, würden wir das Gegenteil erreichen, Türen würden zugeworfen werden. 

Wie sollte unser Verhalten heute, 2011, aussehen? Ich möchte nur vier kleine Aspekte herausheben.

  • Unser Verhalten sollte wie Licht im Dunkeln Orientierung geben. Verhalten wir uns in unserem Alltag so, dass andere merken, wem gegenüber wir uns verantwortlich wissen?
  • Jesus ist auf Menschen zugegangen, hat ihre Bedürfnisse gesehen und darauf reagiert. Viele unserer Mitmenschen haben niemand, der sich für ihre Bedürfnisse interessiert. Sie brauchen uns zum Zuhören, erst dann werden sie selbst etwas von uns annehmen können.
  • Als Gemeindemenschen leben wir in Beziehungen, und hoffentlich hat jeder und jede von uns einen hier, den sie oder er nachts um Hilfe rufen kann, wenn die Not da ist. Doch in unserer Umgebung sind viele Einsame. Sagen wir, dass sie selbst schuld sind, oder geben wir ihnen Raum, dass sie bei uns Geborgenheit und Freundschaft erfahren – noch bevor sie ein Glaubensbekenntnis abgelegt haben?
  • Unser Verhalten zieht Kreise. Wir sind nicht für uns da, sondern für die Welt. Mischen wir uns ein in das Geschehen unserer Welt? Beten wir für die Politiker, dass sie Gottes Willen hören und tun?
Die Zeit sollen wir auskaufen, den Augenblick wahrnehmen, in dem Gott von uns ein bestimmtes Verhalten erwartet. Jeder Tag hat solche Augenblicke bereit, in denen wir merken, dass wir jetzt in Gottes Auftrag handeln.

Glaube wird praktisch im Zeugnis

Noch einen letzten Hinweis gibt Paulus der Gemeinde und uns mit auf den Weg. Unsere Rede soll gewinnend, freundlich, wahrhaftig sein und zum Nachdenken anstoßen. Weil die Gemeinde sich nicht um sich selbst dreht, sondern Kontakte zu ihrer Umgebung hat, reden die Gemeindeleute mit anderen über ihren Glauben. Paulus sieht die Gefahr, dass sie es überheblich und rechthaberisch tun. Ausdrücklich fordert er sie auf, freundlich mit den Leuten zu sprechen, sie wie Freunde anzureden und nicht wie Gegner, die bekämpft und überwunden werden müssen.

Wie reden wir mit Außenstehenden? Sind wir bereit, wie Freunde eine Wegstrecke mit ihnen zu gehen? Oder trommeln wir auf sie ein wie ein Gewitterregen und lassen sie dann wie begossene Pudel auf der Straße stehen? Hauptsache, wir sind unsere Botschaft losgeworden?

Dass das Reden mit Nichtchristen auch anstößig sein wird, verrät der Hinweis auf Salz. Eine salzige Rede ist reinigend, desinfizierend, sie ist aber auch gewürzt mit Wahrhaftigkeit und ganz sicher nicht fade. Für mich bedeutet es, im von Gott gegebenen richtigen Moment darüber ins Gespräch zu kommen, was im Leben und im Sterben wirklich zählt. Wo die Beziehung zum Mitmenschen freundschaftlich eingebettet ist, findet solche salzige Wahrheit offene Türen.

Paulus fasst seinen Glaubenskurs zusammen, indem er noch einmal an den Lebensfaden für uns erinnert, das Gebet. In unserem Lebenswandel sollen wir Zeugnis für Gottes Liebe sein und bleiben. Unser Augenmerk richtet sich auf die, die Jesus noch nicht kennen und mit denen wir in freundlichem und wahrhaftigem Gespräch sind. Der Glaubenskurs will uns gewiss machen, dass Jesus uns die neuen Kleider längst in die Hand gelegt hat. Wir können uns getrost vom Alten trennen.

Cornelia Trick


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