Gestärkt für den Montag
Gottesdienst am 18.02.2001

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
kennen Sie diesen Satz: ich lebe wie Robinson Crusoe – warten auf Freitag! Kalender - FreitagSelbst wenn Sie diesen Ausspruch nicht kennen, vielleicht geht es Ihnen doch ähnlich. Das Wochenende ist wie eine Insel im Meer der Verpflichtungen, des Stresses und der Frustrationen. Am Wochenende, auf dieser Insel, wird alles repariert, was im Verlauf einer Woche kaputt gegangen ist. Am Wochenende ist Großreinemachen, da wird ausgeschlafen, ausführlich gegessen, da geht man spazieren und putzt die Wohnung. Und wir gehen sogar noch zur Kirche, laden dort ab, was sich auf unseren Schultern angesammelt hat, räumen auf und bestimmen unsere Lebensprioritäten neu, wir lassen sie von Gott anrühren und bekommen eine neue Ausrichtung. Gottesdienst und Gemeindebegegnung können so zum Herz der Wochenendinsel werden und Wesentliches zur Grundsanierung beitragen.

Zu allen Zeiten haben Christen eine solche Grundsanierung gebraucht. In der Bibel lesen wir von Christen, die in der zweiten Generation nach Jesus lebten. Sie kannten noch die Erwartung des nahen Weltendes. Immer noch wurde erzählt, dass Christus ja bestimmt gleich wiederkommen würde. Doch es tat sich nichts und die Zeichen der Zeit deuteten eher darauf hin, dass die Welt mit ihren Machtstrukturen noch lange bestehen bleiben würde. Diese Christen wurden müde. Sie fragten sich, ob Jesus Christus sich überhaupt noch um sie kümmerte. Sie kamen sich vor, als ob es nur noch Alltag gäbe ohne Wochenenden. Sie vermissten das konkrete Eingreifen Gottes, seinen Machterweis in ihrem Leben und rätselten in stillen Stunden, ob sich ihr Christsein nicht als Sackgasse erweisen würde. In diese Situation hinein spricht der Brief an die Hebräer. Er ist mit dem Ziel geschrieben, der Gemeinde wieder eine neue Ausrichtung und Freude zu geben. Er möchte Mut zum Glauben machen und ist so auch Stärkung für uns heute.

Hebräer 4,14-16

Lasst uns also festhalten an der Hoffnung, zu der wir uns bekennen. Wir haben doch einen unvergleichlichen Obersten Priester, der alle Himmel durchschritten hat und sich schon bei Gott, im himmlischen Heiligtum, befindet: Jesus, den Sohn Gottes. Trotzdem ist er nicht jemand, der kein Mitgefühl für unsere Schwächen haben könnte. Er wurde ja genau wie wir auf die Probe gestellt - aber er blieb ohne Sünde.
Darum wollen wir mit Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten. Dort werden wir, wenn wir Hilfe brauchen, stets Liebe und Erbarmen finden.

"Wir haben" – der Apostel, der diesen Brief geschrieben hat, betont, dass unser Leben erst einmal nicht von unseren Befindlichkeiten abhängt. Wir haben Jesus – er ist unvergleichlich und lenkt unseren Blick von uns weg. Es macht offenbar einen enormen Unterschied, ob wir Jesus haben oder nicht. Der Apostel benutzt für uns fremde Bilder, um Jesus zu beschreiben. Doch auch die Leser damals kannten sich nicht alle in der jüdischen Geschichte aus. Sie waren zum großen Teil im römischen Reich verstreut lebende Juden, die weit weg von Israel waren. Der Apostel beschreibt Jesus als den Hohenpriester. Er hat alle Freiheit, den Begriff des Hohenpriesters auszudeuten und auch umzudeuten. Worum es ihm hier geht, Jesus ist der Punkt am Horizont, an dem sich Himmel und Erde berühren, ähnlich wie das Matterhorn, das mit seiner Spitze in den Himmel ragt. MatterhornJesus ist Stellvertreter der Menschen, der vor Gott für die Menschen eintritt, aber er ist auch Stellvertreter Gottes, der Gott in einzigartiger Weise den Menschen nahe bringt. In Jesus ist Gott und Mensch verbunden und je nach Blickwinkel, sehen wir in Jesus Gott oder die Menschen.

Wodurch zeichnet sich Jesus aus? Im Hebräerbrief heißt es, Jesus hat alle Himmel durchschritten, er ist durch alle Vorhöfe direkt in Gottes Nähe gekommen. Er ist bei Gott und damit einmalig. Und doch hat Jesus alle Nöte durchlitten, die auch uns betreffen. Er ist genauso bei uns und steht uns im Alltag zur Seite, wenn die rettende Sonntagsinsel noch weit entfernt scheint. Ist Jesus somit einer wie wir? Ja und nein.

Ja.

Jesus ist einer wie wir. Er kennt die Müdigkeit auf dem langen Weg. Er wartete 30 Jahre, bis er an die Öffentlichkeit trat, anfing von Gott und seinem besonderen Auftrag zu erzählen und Leute für Gottes Liebe zu begeistern. Er hatte sich vierzig Tage in die Wüste zurückgezogen, um dort Gott ganz nahe zu sein. Gerade in dieser Zeit wurde er immer wieder vom Bösen attackiert. Hunger, Einsamkeit waren beste Voraussetzungen, um dem Bösen Raum zu geben. Es flüsterte Jesus ein: Du hast Macht, du brauchst nur ein Wort zu sagen und kannst die Welt regieren. So wie es uns ja auch in Zeiten der Erschöpfung geht, dass wir diese Stimmen hören, die uns einreden, dass wir uns schon gut allein aus dem Sumpf herausarbeiten können. Jesus kennt die Möglichkeit, Gottes Wege zu verlassen und das Ziel aufzugeben. In den Stunden vor seiner Verhaftung bat er Gott, den Kelch des Leides an ihm vorüber gehen zu lassen. Am Kreuz schrie er : "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Jesus ist uns nahe. Er steht uns zur Seite, wenn wir müde im Glauben werden und uns fragen, wo unsere Ausstrahlungskraft bleibt. Ob wir uns überhaupt noch verändern können, oder alles sowieso schon so festgefahren ist, dass keine Hilfe mehr greift. Jesus sieht es, wenn wir wieder einmal vergeblich versuchen, über unseren Schatten zu springen oder aufgeben, unsere Umgebung mit unserem Glauben zu durchdringen. Genau wie Jesus stehen wir in der Gefahr, den Weg mit Gott zu verlassen und das Ziel aufzugeben. Sei es, dass uns die Gewohnheit abgestumpft hat, dass wir Gott-taub geworden sind - so wie manche Kinder Mutter-taub - oder uns anderes immer wichtiger erscheint, als Gott zu begegnen. Und auch die Zweifel nagen an der Beziehung zu Gott und können zum Aufgeben führen.

Nein.

Jesus ist uns ganz nahe, "aber er blieb ohne Sünde". Er gab der Müdigkeit nicht nach, hat Gottes Weg nicht verlassen und das Ziel nicht aufgegeben. Er war Mensch wie wir in den 30 Jahren seiner persönlichen Entwicklung, in den Versuchungen der Einsamkeit, aber in ihm hat Gott gewirkt. Jesus war Gottes Stellvertreter. Er konnte sich so der Müdigkeit stellen und den Weg beibehalten. Er kann deshalb auch uns aus der Müdigkeit aufrütteln und uns auf diesem Weg mitnehmen, trotz unserer Zweifel, trotz der Versuchungen am Wegesrand.
Wir haben den ganz Anderen, der an unserer Seite steht und läuft. In ihm ist Mitleiden und Hilfe in einzigartiger Weise verbunden. Er findet sich nicht damit ab, dass wir am Wegesrand liegen bleiben und aufgeben. Er sucht uns einzeln auf und nimmt uns mit.

Folgerung 1: Lasst uns festhalten!

Offensichtlich geht es dabei auch um unsere Bereitschaft, uns helfen zu lassen. Dass Jesus uns am Straßenrand aufsammelt, dass er uns die Insel des Sonntags anbietet, ist das eine. Das andere ist, seine Hand dann auch zu fassen, ihn zu Wort kommen zu lassen, die Ohren nicht gleich auf Durchzug zu stellen. Sonntag und Alltag sind verbunden.

Was mir Mühe macht, muss ich nicht vor Jesus geheim halten. Ich kann es vor ihm ausbreiten, sein Wort kann in die Aufgaben und Herausforderungen des Tages sprechen. Ich meine das sehr wörtlich. Nehmen wir einen Bibelleseplan oder ein Losungsbuch, in dem für jeden Tag zwei Bibelworte ausgewählt sind. Lassen wir dieses Bibelwort morgens zu uns sprechen – praktisch als Motto für den Tag. Und erleben wir, wie es unseren Tag durchdringt und verändert. Das Bibelwort kann ein Halt sein, woran ich in den Höhen und Tiefen des Tages festhalten kann, sehr konkret und wörtlich.

Morgen wird uns in der Losung zugesprochen: "Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk." (Lukas 1,68) Ich möchte das morgen mit in den Tag nehmen. Er besucht mich, egal ob ich am Arbeitsplatz bin, mich mit irgendwelchen Problemen herum schlage oder einem Arztbesuch entgegen sehe. Er besucht mich und erlöst mich, ich muss nicht erst auf Freitag Abend warten, es gilt schon morgen, Montag, und hat Auswirkungen. Ich bin nicht allein, er gibt mir mit seinem Besuch neue Kraft, den Weg weiter zu gehen.

"Lasst uns festhalten" ist eine Aufforderung, die an die Gemeinschaft ergeht. Offensichtlich sollen wir nicht nur im stillen Kämmerlein an Jesus festhalten, sondern das auch gerade in der Gemeinschaft einüben. Hier sind wir als Gemeinde zusammen, die Jesus mit seinem Trost und seiner Ermutigung beschenkt.

Wir sind kein Interessenverein, den das gemeinsame Hobby eint. Wir sind von Jesus zusammengerufen als Trostgemeinschaft, die sich beisteht in den Herausforderungen des Lebens. Auch das meine ich sehr wörtlich. Schauen Sie, wer heute im Gottesdienst links und rechts neben Ihnen sitzt. Worin können Sie Ihrem Nachbarn und Ihrer Nachbarin zum Trost werden? Worin können Ihre Nachbarn Ihnen zum Trost und zum Halt werden? Worin können wir zusammen einem Anderen zum Trost werden?

Vor knapp einem Jahr führten wir hier in der Gemeinde eine Mitarbeiterschulung durch. Am letzten Abend wurden wir vom Referenten eingeladen, uns in Kleingruppen persönlich den Segen Gottes zuzusprechen, uns zu sagen, wofür wir den Segen besonders erbaten und uns dann gegenseitig die Hand aufzulegen. Zuerst war das etwas Neues und Fremdes. Wir mussten die Hemmungen voreinander ablegen – unser Image lüften, dass bei uns doch alles prima läuft. Doch nach und nach vertrauten wir uns gegenseitig an, ließen uns durch den Heiligen Geist trösten, nahmen die Segenshände als Gottes sichtbare und fühlbare Zuwendung an. Etwas Spektakuläres ist nach diesem Abend nicht passiert. Aber ganz unscheinbar ist Vertrauen gewachsen, Vertrauen, dass der Heilige Geist auch durch die Geschwister in der Gemeinde wirkt und wir uns gegenseitig helfen können, an Jesus festzuhalten.

Wir haben nicht jede Woche solche besonderen Stunden, in denen das Herz warm und offen wird. Aber es gibt viele Gelegenheiten, dass solche Stunden Raum bekommen können. Manchmal geschieht das in der Teerunde nach dem Gottesdienst, dass das Wort Gottes Auswirkungen hat bis ins eigene Leben und ein Gespräch unter vier Augen weiter führt. Manchmal geschieht das in unseren Hauskreisen, sogar bei Arbeitseinsätzen und in den letzten Wochen im Alpha-Kurs. 

Wir brauchen auf unserem Weg Vergewisserung, Leute, die uns unter die Arme greifen und uns zurufen: Lasst uns festhalten! Es wäre pure Selbstüberschätzung, wenn wir meinten, das aus eigener Kraft zu schaffen. Der Hebräerbrief spricht uns heute an: Falls Sie in der Gefahr stehen loszulassen, die Gemeinschaft hält sie, füreinander stehen wir ein.

Folgerung 2: Lasst uns vor Gott treten!

Der Apostel geht noch einen Schritt weiter. Er weiß um die letzte Verantwortung vor Gott. Nicht allein das Festhalten schärft er ein, sondern betont, dass der letzte Maßstab Gott ist. Er befindet darüber, ob wir auf dem Weg geblieben sind oder unterwegs den Anschluss verloren haben. Unser Gewissen kann uns dabei leicht fehlleiten. Es ist geprägt von unserer Umwelt, unserer Erziehung, unserem kulturellen Hintergrund. Es kann uns bestärken, dass wir doch ganz passable Leute sind. Gott mag ein anderes Urteil über uns sprechen. Vielleicht sagt er: Cornelia, du hast dich bemüht, aber wie oft bist du blind für meine Hilfe gewesen und hast dich umsonst abgerackert, es aus eigener Kraft zu schaffen. Vielleicht sagt er auch: Schade, dass du immer dann deine Ohren verstopft hast, wenn ich deinen Weg korrigieren wollte. Du bist sehr stur deine Wege gegangen, wo du eigentlich hättest umkehren sollen. 

Lasst uns vor Gott treten, das hört sich so fast unheimlich, ja bedrohlich an. Wie ein Examen, das oft vor Augen führt, was man alles nicht gelernt hat. Doch der Apostel setzt hinzu, wir können mit Zuversicht vor Gottes Thron treten. Denn da ist Jesus und der vertritt uns ja. Er ist die Berührung zwischen Himmel und Erde. Er stoppt das Aufrechnen, die Strafe und bewirkt stattdessen Hilfe, Liebe und Erbarmen. Nach meinem Verständnis geschieht das nicht erst am Ende der Zeiten, sondern schon heute und hier. Wir dürfen von Gott – ganz entgegen der eigentlichen Erwartung – Hilfe, Liebe und Erbarmen erwarten. Er kennt uns viel besser, als wir uns selbst kennen. Und er weiß, wie er uns helfen kann zur rechten Zeit. Ob er uns den Umweg zumutet, ob er uns aus den Sackgassen selbst herausträgt, ob er uns jemand an die Seite gibt, der uns leitet, viele Möglichkeiten hat er, uns zu helfen. Wir können uns darauf verlassen. Und wir können uns mitnehmen vor den Thron Gottes. In der Fürbitte füreinander, in der Seelsorge, auch in der praktischen Hilfe werden wir Botschafter und Botschafterinnen von Gottes Hilfe, Liebe und Erbarmen.

Als Gemeinde sind wir wie die Gemeinde der 2. Christengeneration unterwegs. Der Hebräerbrief möchte uns heute wie damals aufwecken, dass wir nicht müde oder sogar sterbend am Weg liegen bleiben. Wir haben den ganz Anderen, Jesus, der uns versteht, der in unserem Alltag mit uns leidet und der allein helfen kann. Er stellt uns neu in unsere Gemeinde hinein und ermutigt uns, miteinander den Weg fortzusetzen.

Im Gastzimmer meines Elternhauses stand lange Jahre ein Spruch auf dem Bettkasten des Gästebetts. Immer wenn ich ein Bett beziehen sollte, fiel mir der Spruch ins Auge, bis ich ihn schließlich verinnerlicht hatte. Er ist mir zu einem Leitwort geworden, wie Jesus uns einlädt, miteinander an ihm festzuhalten und auf seine Hilfe zu hoffen:
Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn, dass einer dem andern Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause (Romano Guardini).

Cornelia Trick


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