Einsegnungsgottesdienst
am 30.04.2000
Lieber Karl, lieber
Rainer, liebe Festgemeinde,
während unseres Kirchlichen
Unterrichts begannen wir die einzelnen Stunden mit einer Andacht, die wir
reihum vorbereiteten. Eine Andacht hat uns besonders angestoßen und
wir beschlossen, sie Ihnen heute im Gottesdienst anschaulich darzustellen.
Die Situation ist folgende: Ein Schüler trägt in Physik ein Referat
vor zum Thema "Das Gesetz des Pendels". Er redet 20 Minuten davon, dass
ein Pendel niemals höher zurückschwingen kann als bis zu dem
Punkt, an dem es losgelassen wurde.
Wegen der Reibungs- und Schwerkraft beschreibt es bei jeder Schwingung
einen kleineren Bogen als zuvor, bis es schließlich ganz stehenbleibt.
Das gilt natürlich nur dann, wenn es keinen neuen Schwung bekommt.
Der Lehrer ist mit den Ausführungen sehr zufrieden und möchte
dem Schüler schon die gute Note eintragen. Doch der Schüler wehrt
ab, lässt ein schweres Gewicht von der Decke des Klassenzimmers ab
und bittet den Lehrer, sich doch nun selbst von der Gültigkeit des
Gesetzes zu überzeugen und den dafür vorbereiteten Platz einzunehmen.
Er hält das Pendel dicht vor des Lehrers Nase. Dem bricht der kalte
Schweiß aus und - so wird in dieser Geschichte erzählt - verlässt
fluchtartig den Platz. Er kennt zwar das Gesetz ganz genau, aber er traut
ihm nicht und will keine "Matschbirne" riskieren.
Dieses Bild vom Pendel,
seiner Gesetzmäßigkeit und unserer Angst, uns da auf den Stuhl
zu setzen, ist uns im Kirchlichen Unterricht wichtig geworden. Es beschreibt
doch, wie es uns auch mit dem Glauben geht. Zwei Jahre haben wir die Bibel
und Grundlagen des Glaubens gelernt. Aber ist auf die Bibel wirklich Verlass?
Oder sollte man sich doch besser im Abstand halten und die Sache lieber
theoretisch betrachten? So im Abstand zu bleiben, das kann heißen,
Gott bewahren wir uns für die Höhepunkte und Grenzfälle
des Lebens auf. Bei der Geburt, beim Heiraten, am Grab, da ist es gut,
dass Gott da ist. Aber darüber hinaus? Im Abstand zu bleiben, das
kann heißen, Christen genau zu beobachten und zu schauen, was sie
falsch machen. Es kann auch heißen, die religiösen Themen erst
einmal aufzuschieben. Schließlich hat man mit 15 Jahren ja die ganze
Welt noch vor sich - wer weiß, ob sich nicht noch was Besseres bietet.
Doch bleiben wir mit Gott
auf Abstand, dann werden wir ihn nicht richtig kennen lernen können.
Denn bei ihm geht es nicht um das theoretische Wissen, bei Gott geht es
um eine Lebensgemeinschaft. Er ist uns treu, er hat uns lieb, er will uns
helfen, er will uns fit machen zum Leben. Gott lädt uns ein, ihm noch
viel mehr als einem physikalischen Gesetz zu trauen. Nichts und niemand
kann uns von ihm wegbringen, nicht einmal ein schweres Gewicht, das vor
unserer Nase pendelt.
Ihr habt euch eure Einsegnungssprüche
selbst gewählt. Beide sind sie Ausdruck des Vertrauens, dass Gott
euch hält. Manchmal brauchen wir auch solch einen Spruch, der uns
gesagt wird, wenn wir es selbst von uns aus nicht formulieren können.
Diese beiden Verse machen deutlich, dass wir Gott unser Leben anvertrauen
können und nicht im Abstand bleiben müssen. Und sie sind Ausdruck
der Hoffnung: Euer Leben wird mit Gottes Begleitung und seiner Liebe gelingen.
Ihr werdet euren Weg finden und dann auch gehen können.
Rainer, du hast einen Vers
aus Psalm 119 ausgewählt:
Dein Wort ist meines Fußes
Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. (Vers 105)
In der modernen Übersetzung
der Guten Nachricht heißt es so:
Dein Wort ist eine Leuchte
für mein Leben, es gibt mir Licht für jeden nächsten Schritt.
Die Laterne ist Bild für
die erleuchtende Kraft von Gottes Wort. Offenbar sind hier nicht die strahlenden
Sommertage, die
Höhepunkte und Festzeiten des Lebens angesprochen, denn da braucht
niemand eine Leuchte für die nächsten Schritte, da ist alles
klar, der Weg liegt offen vor einem und man kann mutig loslaufen. Hier
werden die dunklen Tage und Nächte angesprochen - wenn der Weg verborgen
ist und man nicht weiß, was der nächste Schritt bringen wird.
Allerlei kann einem in der Dunkelheit unvorbereitet begegnen: Abgründe
und Berge, Stolpersteine und Füße anderer, Hilfeschreie, die
unsere Pläne auf den Kopf stellen und Angriffe, die aus der Fassung
bringen. Von einem Schweizer wurde mir erzählt, dass sie in den Bergen
diese Laternen mit in die Dunkelheit nehmen, weil sie den nächsten
Schritt ausleuchten, der der gefährlichste sein kann. So ist diese
Laterne auch ein gutes Bild für Gottes Wort. Es hilft täglich,
den nächsten Schritt zu erkennen. Es will heute und hier helfen und
Orientierung geben. Manchmal werden wir dabei ungeduldig - wäre ja
zu schön, wir wüssten auch schon den nächsten und übernächsten
Schritt, hätten keine funzelige Laterne in der Hand, sondern einen
richtigen 1000 Watt Strahler. Doch die Gefahr ist groß, zwar die
Umrisse der Eiger Nordwand deutlich zu erkennen, aber über die eigenen
Füße zu stolpern und sich die Beine zu brechen, bevor wir beim
Eiger überhaupt ankommen. So ist Gottes Wort Lebenshilfe - sehr praktisch
und persönlich - zugeschnitten auf den ganz normalen Alltag.
Ich habe bis jetzt noch
nicht ausgeführt, was "Gottes Wort" eigentlich bedeutet. Für
den Psalmbeter war es das Gesetz des Mose, die Zusage, dass Gott bei seinem
Volk ist und es nicht vergisst. Für uns Christen ist Jesus Christus
das Wort Gottes, in ihm ist Gottes Wort zum Ausdruck gekommen. Jesus zeigt
uns die menschliche Seite Gottes. So sind die Bibel und der Kontakt zu
Jesus die Laterne, die unsere Lebensschritte erhellen wollen. Andeuten
möchte ich, was das dann Schritt für Schritt bedeutet: wir gehören
zu Gott und werden auch in den verfahrensten Situationen darauf aufmerksam.
Wir können mit Jesus Frieden stiften, in der Klasse, in der Familie,
in unserem Umfeld. Wir können uns für andere einsetzen, Jesus
gibt uns die Kraft dazu. Und wir können zu unserer Überzeugung
stehen, auch wenn wir damit gegen den Strom schwimmen. Jesus macht uns
stark dazu.
Es ist ein überwältigendes
Angebot Gottes, dass er uns Licht geben will bei jeder Entscheidung, bei
jedem Schritt, in jeder Situation. Wir als Gemeinde wünschen dir,
Rainer, dass du diesem Licht traust und es durch dich ein Stück dieser
Welt hell machen kann.
Karl, du hast ein
Wort Jesu aus dem Johannesevanglium ausgewählt:
Jesus sagt: Ich bin der Weinstock,
ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht;
denn ohne mich könnt ihr nichts tun. (Johannes 15,5)
Jesus ist das Licht Gottes
auf dem Weg, Jesus - so hier das Bild - ist Lebensader, die Saft und Kraft
gibt und Wachstum schenkt.
Sich Jesus anzuvertrauen heißt, Gottes Kraft in Anspruch zu nehmen.
Sich Jesus anzuvertrauen bedeutet auch, nicht auf die eigene Stärke
zu bauen, so nach dem Motto: Ich bin schon selbst groß. Jesus ist
die Lebenskraft, die täglich gibt, was wir zum Leben brauchen. Das
Wort Jesu zielt auf den Sinn des Lebens. Die Weinrebe ist nicht dazu da,
sich selbst schön zu finden, sich von der Sonne bescheinen zu lassen,
alle Vitamine und Mineralien in sich zu speichern, um dann irgendwann am
Weinstock zu vergammeln. Der Sinn der Weinrebe ist Frucht zu bringen und
mit ihren Weintrauben zur Aussaat neuer Weinstöcke beizutragen. In
der Bibel finden wir viele Aussagen, was es bedeutet, im Leben Frucht aus
Gottes Geist zu bringen. Jetzt möchte ich nur vier Aussagen aus dem
Johannesevangelium nennen und sie kurz erläutern. Der Evangelist Johannes
nennt durchweg als Sinn und Ziel des Lebens, als Frucht des Lebens, die
Liebe zu Gott und den Mitmenschen.
Die Liebe zu Gott ist
das Vertrauen, sich leiten zu lassen und auf Gott zu hören. Besonders
in der persönlichen Andacht wird diese Liebe aufgefrischt und findet
Antwort. Ein Raum der Stille, eine Viertelstunde als Insel am Tag, um die
Uhr und den inneren Kompass nach Gott zu richten, hilft, um sich neu zu
vergewissern, dass Gott Kraft zum Leben gibt.
Die Liebe als Frucht des
Weinstocks äußert sich in Barmherzigkeit gegenüber unseren
Mitmenschen. Ich denke an Außenseiter in der Klasse, die nie ein
Bein in die Klassengemeinschaft bekommen. Gerade ihnen gilt diese barmherzige
Liebe, die Jesus uns vorgelebt hat. Und mit seiner Kraft wird es gelingen,
immer wieder einen Versuch zu machen, den Außenseiter einzuladen
und ihm Brücken zur Gemeinschaft zu bauen.
Die Liebe als Frucht des
Weinstocks äußert sich auch in der Wahrhaftigkeit. Es ist nicht
Ausdruck von besonderer Liebe, alle Probleme unter den Teppich zu kehren
und mit einem Smile-Gesicht durch die Gegend zu laufen. Bei Jesus können
Konflikte bereinigt werden und kann Schuld vergeben werden. Ich denke an
die Mitschüler die schlecht über ihren Klassenkameraden reden.
Es ist Frucht des Weinstocks hier mal etwas entgegenzusetzen und mit dem
Klassenkameraden selbst zu reden. Diese Frucht der Liebe durchbricht Mauern
und hilft zu einem neuen Miteinander.
Auch die Liebe, die zu
persönlichen Opfern bereit ist, gehört zur Frucht am Weinstock.
Da hat mich jemand auf dem Kicker und egal, wie ich mich verhalte, er wird
immer etwas an mir auszusetzen haben. Wer kennt das nicht. Da werden wir
von Jesus ermutigt, auf diese Person immer neu vorbehaltlos zuzugehen,
den ersten Schritt zu tun, etwas einzusetzen, um den andern zu gewinnen.
Am deutlichsten wird diese Frucht in der Begegnung mit Feinden. Da sagt
Jesus: Liebet eure Feinde und betet für alle, die euch verfolgen.
Frucht zu bringen, dem
Leben Sinn zu geben, ist Lebensaufgabe für uns alle. Die Themen ändern
sich. Aus Mitschülern werden Kollegen, Bekannte, Freunde... Erfahrungen
kommen hinzu. Sie bestärken: Ja, ich kann Jesus wirklich trauen, er
gibt mir Saft und Kraft - und weil er es in der Vergangenheit getan hat,
wird er es wieder tun. Wir als Gemeinde wünschen dir, Karl, dass
du Saft und Kraft für dein Leben von Jesus holst und er dir reiche
Frucht schenkt, die dich erfüllt und deinem Leben Sinn und Ausstrahlung
gibt.
Licht auf dem Weg, Weinstock
und Lebenssaft, das ist das große Angebot an uns heute. Es ist in
unsere Entscheidung gestellt, ob wir uns eher im Abstand halten und alles
mehr theoretisch von außen beurteilen, oder ob wir Gottes Angebot
selbst ausprobieren. Die Physikstunde vom Gesetz des Pendels will uns ermutigen,
Gottes Zusage zu trauen und ihn in unserem Leben wirken zu lassen.
Cornelia
Trick
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