Die Liebe bleibt
Gottesdienst am 22.11.2009

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Ewigkeitssonntag und Goldene Hochzeit – wie passt das zusammen? An diesem Sonntag nehmen wir noch einmal ganz bewusst von denen Abschied, die aus unserer Gemeinde und unseren Familien von Gott abgerufen wurden. Wir werden an unsere eigenen Grenzen erinnert. Wir werden eingeladen, unseren Blick auf Jesus Christus zu richten, der uns über den Graben des Todes in ein neues Leben mit Gott tragen will. Diese Brücke ist Gottes Liebe, mit der er uns sucht, findet und nach Hause führt. 

Das Jubelpaar wünscht sich, dass sein Trautext von damals auch heute zu Wort kommt. Dieser Bibelvers verbindet Ewigkeitssonntag und Goldene Hochzeit auf wunderbare Weise. Er gibt Anleitung für die Gegenwart und die Zukunft und lässt heute schon ein Stück Himmel sichtbar werden: „Nun aber bleiben Glauben, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1.Korinther 13,13)

Liebe ist offensichtlich das Kontinuum zwischen Leben hier und Leben in Ewigkeit. Glaube wird zum Schauen, Hoffnung ist nicht mehr nötig, weil das Erhoffte eingetroffen ist, aber Liebe ist der Inbegriff dessen, womit Gott uns in Ewigkeit umgeben will. Wenn wir uns heute darauf einlassen, etwas Neues über die Liebe zu lernen, dann geht es im Innersten darum, Gott besser kennen zu lernen und uns in die Liebe Gottes einzufinden.

Das 13. Kapitel des 1.Korintherbriefs wird auch als das Hohelied der Liebe bezeichnet. Paulus beschreibt die Liebe, die aus Gott wie aus einer Quelle sprudelt und den Menschen verändert. Er wird durchlässig für diese Liebe und gibt sie an die Menschen weiter, die in seinem Umfeld sind. Die Liebe ist wie Wasser oder Sauerstoff, der einen Organismus am Leben hält.

Die Liebe

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. (1.Korinther 13,1)

Der Pfarrer Jörg Zink beschrieb die Notwendigkeit von Liebe aus seiner Perspektive. Wenn er jeden Sonntag glanzvolle Predigten hält, die Kirche voll bis auf den letzten Platz wäre und die Leute zu Tränen gerührt wären über das, was er ihnen von Gott erzählte, aber keine Liebe zu diesen Menschen hätte, wäre es besser, er hielte den Mund und würde sich setzen. Wenn er die Welt mit allem Unrecht öffentlich anprangern würde und zur Freiheit aufrufen würde, aber für die verantwortlichen Politiker nur Verachtung empfinden würde, könnte sich auch durch seine Appelle nichts verändern. Wenn er über Liebe reden würde, Seminare zum Thema Liebe abhalten würde, aber es ihm eigentlich nur darum gehen würde, dass andere ihn gut finden, dann wäre er nichts weiter als ein kleinkarierter Egoist.

Und so könnte ich fortsetzen: Wenn ich mich Tag und Nacht um die Gemeinde kümmerte, ständig Hausbesuche machte und telefonierte, Karten schreiben würde und Sitzungen abhalten würde, aber diese Gemeinde nicht lieben könnte, dann würden Sie sich verwaltet, kontrolliert, für meine Zwecke missbraucht fühlen und sich wie Karteikarten vorkommen.

Die Liebe, so wird es deutlich, ist eine geheimnisvolle Kraft, die den entscheidenden Unterschied macht. Ein Organismus kann alle Organe haben, voll funktionsfähig sein, aber ohne Sauerstoff lebt er nicht. Ein Mensch ohne Liebe, so hören wir es, kann zwar Krach machen, aber nichts voranbringen und verändern.

Die Liebe kann alles

Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1.Korinther 13,7)

In vier Dimensionen verdeutlicht Paulus, dass die Liebe die allumfassende Kraft und Motivation ist, die unser Leben ausmacht, bestimmt und zum Ziel führt. Er wählt die Form des Lobliedes. Er kann deshalb den Superlativ gebrauchen, auch wenn die Realität uns lehrt, dass „einiges“ statt „alles“ oft schon viel wäre.

Die Liebe erträgt alles. Gemeint ist, dass Liebe bedecken, beschirmen und bewahren kann. Ich stelle sie mir wie ein Schutzdach über meinem Lebenshaus vor. Sie bewahrt mich vor Bösem, lässt lieblose Angriffe abprallen. Sie sorgt dafür, dass ich mich sicher und geborgen fühlen kann, auch wenn um mich herum scharf geschossen wird. Sie gibt mir die Sicherheit, geliebt und angenommen zu sein, weil Gott mich in seinen Armen hält. Denn seine Liebe ist mein Schutzdach. Weil er sich in Jesus buchstäblich vor mich stellt, brauche ich keine Lebensangst zu haben. Die Liebe erträgt die Speerspitzen anderer, ohne daran zu zerbrechen. Wer von dieser Liebe durchdrungen ist, wird zum tragenden Partner, zur tragenden Partnerin für den Mitmenschen. Auch wenn Paulus mit seinem „alles“ ein bisschen vollmundig klingt. Gott will helfen, sogar das Alles zu tragen und zu ertragen.

Die Liebe glaubt alles. Ein anderes Wort für Glauben ist Vertrauen. Hier wird deutlich, dass es bei diesem Glauben nicht um eine naive Gutgläubigkeit geht, um Wunschdenken und haltlosen Optimismus. Alles zu glauben heißt, das Wagnis des Vertrauens einzugehen. Einem anderen zu vertrauen, weil man erfahren hat, dass auf Gott Verlass ist, er der sichere Rückhalt ist, auch wenn Vertrauen missbraucht wird. Aus einem sicheren Zuhause heraus können Kinder ihrer Umgebung vertrauen lernen. Sie wissen, egal was passiert, die Tür ins geborgene Heim ist immer offen. Sie haben erstmal noch keine negativen Erfahrungen gesammelt und können sich vorbehaltlos den neuen Entdeckungen voller Neugier widmen. Alles zu glauben bedeutet, den Mut zu haben, sich verwunden oder verletzen zu lassen. Wer allerdings einen festen Seelenpanzer um sich aufgebaut hat, der ihn vor allen möglichen Verletzungen schützen soll, wird auch selbst undurchlässig für Gottes Vertrauen und Gottes Liebe. In seinem Seelenpanzer ist der Mensch schon so gut wie tot, abgeschnitten vom Sauerstoff der Liebe, der ihn durchwehen will. Es kostet Mut, diesen Panzer abzulegen. Deshalb ist es wichtig, dass Gottes Liebe zuerst getankt wird, damit Kraft da ist, auch mit den Rückschlägen im Miteinander umzugehen. Wer anderen vertraut, lockt sie heraus aus ihrem Seelenpanzer. Der Sauerstoff der Liebe Gottes bewirkt Öffnung, Heilung und neues Vertrauen, das Leben mit Gottes Hilfe zu bewältigen.

Die Liebe hofft alles. Weil Gottes Berührung soviel verändert und zum Wachsen bringt, können wir Hoffnung haben, dass sie auch im anderen Wachstum bewirkt. Gottes Liebe wird auch ihn oder sie verändern. So ist auch Jesu Gebot zur Feindesliebe zu verstehen. Es wäre übermenschlich zu verlangen, einen Feind einfach so zu lieben. Doch speist sich diese Liebe aus der Erfahrung, dass Gott verändert und schöpferisch Neues schafft. So kann Gott den Feind durch seine Liebe verändern und zu einem Freund werden lassen. Die Feindesliebe sieht im anderen nicht zuerst den Feind, der mit gezückter Pistole vor ihm steht, sondern den, dem Gottes Liebe gilt und der durch diese Liebe verändert werden kann. Hoffende Liebe ist mit dem andern nie fertig, sondern hat im Hinterkopf, dass Gott den anderen mit seinem Sauerstoff zu einem anderen Leben befähigen kann.

Die Liebe duldet alles. Stellen wir uns ein Mehrfamilienhaus vor. Es steht nicht unmittelbar auf einem Fundament, sondern Säulen verbinden das Haus mit dem Fundament. Eine Säule trägt ganz besonders. Auf ihr ruht die ganze Last des Miteinanders im Haus. Sie ist die Liebe, die duldet. Sie hält stand auch bei Stürmen und Konflikten. Wir kennen diese Säule, die uns im Ehe- und Familienleben trägt. Geht es um Recht Haben, wären wir schon längst auseinander. Das beharrliche Suchen des andern, die Kompromisse, das Einfühlen in die Lage der anderen und das Nachgeben gewähren ein stabiles Miteinander. Es ist Liebe, die uns dazu bewegt, auch bei Konflikten nicht aufzugeben und das gemeinsame Projekt hinzuschmeißen. Auch im Gemeindeleben ist diese tragende Säule existenziell wichtig. Man kann eine Weile zusammen bleiben, wenn man sich gut versteht, Interessen teilt und die Gemeinde nach ähnlichem Leitbild gestalten will. Doch ohne Liebe würden wir auseinander gehen, wenn Widerstände auftauchen würden. Wir würden uns trennen nach Verletzungen und Schulderfahrungen. Wir hätten keine Geduld miteinander, wenn unsere Vorstellungen so verschieden wären, dass es Arbeit erforderte, sie anzugleichen. Uns würde dadurch entgehen, wie Gott uns auch durch Täler führt, um uns zu verändern, uns neues Vertrauen zu lehren und mit seinem Sauerstoff zu beschenken, den wir nicht aus uns selbst haben. Geduld meint nicht, alles einfach hinzunehmen. Aber es heißt, Gott eine Chance zu geben, seinen Weg mit uns zu gehen, auch wenn wir noch nicht die Kondition dafür haben.

Ja, frage ich mich nach diesen vier überschwänglichen Sätzen des Paulus, ist das nicht zu schön um wahr zu sein? Ja, es ist sicher mehr, als wir je in diesem Leben erreichen können. Wir ertragen, glauben, hoffen und dulden niemals alles. Wenn wir ehrlich sind, dann ertragen, glauben, hoffen und dulden wir meistens so wenig, dass wir auf jeden Fall nicht von anderen enttäuscht werden. Aber ist es nicht einen kleinen Versuch wert, der Liebe Gottes zu trauen, den Panzer abzulegen und uns einzuüben in die atemberaubende Liebe, die nur Gott schenken kann? Sind wir nicht genau deshalb heute Morgen hier, weil wir Anregung suchen, unser Leben mit Gott noch froher, sauerstoffreicher und kraftvoller zu führen? Und ist es vielleicht dieser Sauerstoff, der uns fehlt, weil wir uns ihm gegenüber aus Angst vor Enttäuschung verschließen?

Die Liebe ist noch bruchstückhaft

Wir  sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen,  wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben  Glaube, Hoffnung,  Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (1.Korinther 13,12+13)

Paulus sagt, dass mich Gottes Liebe nur indirekt trifft. Ich stehe vor dem Spiegel, SpiegelGottes Liebe scheint von hinten auf mich, ich sehe das vor mir im Spiegel. Aber ich kann diese Liebe nur in Bruchstücken erfassen, zumindest ich selbst stehe zwischen Quelle und Spiegel und verdunkele das Bild. So wird klar, warum es in diesem Leben kein Alles geben kann. Erst wenn Gott mich in die Ewigkeit ruft, mich sozusagen von meiner Fixierung auf das Leben hier zu ihm umdreht, werde ich die Liebe ganz erfahren und erkennen können. Die Erfahrung von Liebe hier und heute ist nicht mehr als eine Flasche Sauerstoff im Gegensatz zum Sauerstoffvorrat der Erde. Doch sie weist die Richtung. Wenn zwei Menschen sich das Ja-Wort geben, müssen sie wissen, dass sie das Alles der Liebe in der Ehe nicht erfahren werden. Aber sie können sich Gott anvertrauen, der ihre kleinen Sauerstoffflaschen nachfüllen will. Der ihnen Oasen zum Luftholen schenkt und sie stark macht, auch die Stürme zu durchstehen. Wenn eine Gemeinde zusammen den Weg des Glaubens gehen wird, muss sie sich immer wieder bewusst werden, dass sie noch nicht im Himmel ist. Meinungsverschiedenheiten, Verletzungen und Umwege sind normal. Doch sie kennt die Liebesquelle, darf darum immer wieder bitten und wird merken, dass sie von der unverfügbaren Liebe Gottes soviel bekommt, um Frucht zu bringen.
Entscheidend wird sein, Gottes Liebe aufzunehmen und sich von ihr füllen zu lassen. Wie das geschehen kann, ist sehr unterschiedlich. Im Gebet, im Gottesdienst, beim Abendmahl, beim Singen und Erleben von Musik, in Gottes Natur, im Gespräch mit einem lieben Menschen, bei einer Heilung, im Zuspruch von Vergebung – es sind jeweils Grüße aus der Ewigkeit, die die Brücke zu Gott tragfähig machen, die uns helfen loszulassen, weil wir Gott vertrauen können. Er versichert uns, dass wir nie allein sind und er auf uns wartet.

Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. (Römer 5,5)

Cornelia Trick


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