Gottesdienst am 14.12.2008
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern
und Brüder,
vor drei Wochen hörte
ich wieder laute Vogelstimmen und bin sofort auf die Straße gerannt.
Es ist zu schön, die Schwärme von Grauen Kranichen zu
beobachten, die jedes halbe Jahr über Neuenhain hinweg ziehen. In
Pfeilform fliegen sie Richtung Süd-Westen oder Nord-Osten, je nach
Jahreszeit. Diese Flugformation bietet den geringsten Luftwiderstand und
ermöglicht besten Sichtkontakt. Durch lautes Rufen vergewissern sich
die Vögel des Schwarms, und je dunkler es wird oder je schlechter
die Sichtverhältnisse werden, desto lauter rufen sie sich zu. In der
Leitung des Zuges wechseln sich die Vögel ab. Sie verlangsamen das
Tempo, um schwächere Vögel mitzunehmen und reihen sie wieder
in die Formation ein.
Zugvögel sind Geschöpfe
Gottes, die einen eingebauten Kompass besitzen, der ihnen anzeigt, wohin
die Lebensreise gehen soll. Sie achten aufmerksam auf Sonne, Mond, Erdformationen
und Magnetfelder, und finden so Jahr für Jahr ihre Brutplätze
und Winterquartiere wieder. Doch manche Zugvögel verlernen, auf ihren
inneren Kompass zu hören. Die Zivilisation holt sie ein. Sie gewöhnen
sich an das städtische Milieu, finden ganzjährig genug Nahrung
und werden zu sesshaften Vögeln, die ihre eigentliche Bestimmung vergessen
haben.
Einen solchen Kompass haben
wir Menschen auch. Er richtet unser Leben auf Gott aus. Er weckt in uns
die Sehnsucht, bei Gott zu sein und uns auf den Weg zu machen ihm entgegen.
Aber vielleicht geht es uns wie den Zugvögeln, deren innere Bestimmung
durch die Müllhalden der Zivilisation, wo sie genug Nahrung finden,
verkümmert ist. Vielleicht spüren wir dieses Ziehen Gottes in
seine Richtung nicht mehr. Doch es ist Gott selbst, der uns wachrütteln
will. Er ruft sich uns in Erinnerung durch seinen Sohn Jesus Christus.
Er stellt sich uns heute in den Weg durch Menschen und Ereignisse, die
hinweisen auf Jesus Christus und den längst vergessen geglaubten Kompass
freischaufeln. Vielleicht ist es ein Freund, der uns neugierig gemacht
hat auf Jesus. Vielleicht waren es das Elternhaus, Bruder oder Schwester,
die dem Kompass Raum gegeben haben und uns mitnahmen. Vielleicht war es
auch unsere persönliche Situation, eine tiefe Not, ein plötzlicher
Einbruch, eine große Wunde in der Seele, die tiefer schürfen
ließ und die nie gekannte Sehnsucht nach dem Ziel des Lebens wachrief.
Gott sucht uns Menschen,
er wartet auf uns. Er weiß, dass wir es allein nicht zu ihm schaffen
– genauso wenig wie es ein Grauer Kranich allein nach Nordafrika schaffen
würde. Deshalb lässt er Jesus uns abholen, der uns herausreißt
aus dem Wühlen im Alltag und die Kraft schenkt, uns auf die Reise
zu machen.
Diese persönliche
Aufforderung wird durch den Propheten Jesaja seinem Volk Israel in schwieriger
Zeit zugesprochen:
Jesaja 60,1-2
Mache dich auf, werde licht;
denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über
dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker;
aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint
über dir.
Eine klare Aufforderung
steht am Anfang: Mache dich auf! Doch was ist der Grund sich aufzumachen?
Dein Licht kommt, und die
Herrlichkeit geht auf über dir
Die Zusage Gottes, die
er seinem Volk und der Stadt Jerusalem zugesprochen hat, können wir
jetzt ganz persönlich nehmen. Jesus hat von sich gesagt: „Ich
bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der
Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
(Johannes 8,12)
Er ist das Licht, das in unser Leben kommen will und es hell macht. Dieses
Licht bewirkt, dass wir ein Ziel bekommen, dass der Weg auf dieses Ziel
hin beschrieben wird und wir die nötige Hilfe im Alltag erhalten,
um uns geliebt zu wissen, versöhnt mit Gott und in unseren Beziehungen
zu leben und eintreten können für die, die im Schatten leben.
Was wir dazu beitragen können, ist, Jesus selbst zu empfangen, ihm
offene Türen bereit stellen, unsere Herzen und Hände für
sein Licht öffnen und uns darauf verlassen, dass er unseren Kompass
richtig justiert. „Aufbruch nach Afrika auf Vertrauen“ ist die entsprechende
Lebenshaltung. Sie wird in der Bibel als Heiligung bezeichnet, weil sich
das Leben unter Gottes Einfluss abspielt, wir teilhaben können an
seiner Heiligkeit. Wer mit Jesus Christus lebt, ist kein Einzelkämpfer,
sondern wird zum „Zugvogel“. Er gehört zu einem Schwarm, einer Gemeinde,
die mit ihm unterwegs ist. Er wird mit dieser Gemeinde das Leben gestalten
und sich dem Ziel nähern.
Mache dich auf und werde
licht!
Heute feiern wir in diesem
Gottesdienst die Aufnahme in die Kirchengliedschaft. Fünf Frauen haben
den Ruf gehört, den Kompass in ihnen wahrgenommen und erfahren, dass
Licht in ihr Leben gekommen ist. Sie erlebten, dass Jesus ihren Weg bestimmt
und dass sie in der Gemeinde hier am Ort eine Gemeinschaft entdeckt haben,
die sie mitnimmt auf dem Weg zum Ziel.
Sich in die Kirchengliedschaft
aufnehmen zu lassen, fordert eine Entscheidung heraus. Von jetzt an stehen
diese Frauen nicht mehr auf der Straße in Neuenhain und bewundern
die Grauen Kraniche auf ihrem Zug in den Süden, sondern sie sind selbst
im Zug dabei. Sie lesen nicht mehr im Lexikon oder Internet, wie die Flugroute
verlaufen und wie lange sie dauern wird, sondern sie fliegen mit, lassen
sich ein auf das Abenteuer und finden selbst heraus, wie sie mit Jesus
Christus ihr Leben gestalten und einmal in der Gemeinschaft mit Gott angekommen
sein werden.
Der Flug dauert, wir sind
nicht sofort am Ziel. Was geben wir euch in die Reisetasche mit? Ich möchte
drei Themen nennen, die für euch wichtig sein werden.
-
Bleibt nahe bei Jesus. Der
Kompass muss regelmäßig gewartet werden, sonst fängt er
an zu spinnen oder verliert die Justierung. Es könnte sein, dass ihr
euch irgendwann nur noch im Kreis bewegt, ohne es zu merken. Bei Jesus
zu bleiben, ist keine besonders schwierige und kraftzehrende Aufgabe. Zusammenfassend
könnten wir von den drei großen B reden: Bibel, Beten, Beichten.
Die Bibel ist das tägliche Futter für die Gemeinschaft mit Jesus.
Wir brauchen das fremde Wort, das unsere eigenen Gedanken zu Gott bewegt.
Wir brauchen den Zuspruch und Anspruch von außen, der uns aus der
Niedergeschlagenheit herausreißt und uns das Ziel mit immer neuen
Farben und Worten vor Augen malt. Wir brauchen die Verbindung zu Juden
und Christen vor uns, die uns lehren, dass wir in einem viel größeren
Zusammenhang leben und nicht wir das Zentrum der Welt sind, sondern Gott.
Das Beten ist der persönlichste Ausdruck unserer Gemeinschaft mit
Jesus. In erster Linie hören wir von Jesus, was er uns zu sagen hat.
Wir warten auf seine Liebe und die Zeichen seiner Gegenwart. Wir können
uns auf das Beten einlassen, ohne irgendein Thema in unserem Kopf zu wälzen.
Da erst werden wir merken, wie Jesus uns Themen schenkt und unseren Blick
auf sich richtet. So ist auch das Beten in der Gemeinschaft zu verstehen,
das hier in der Gemeinde ja auch einen hohen Stellenwert besitzt. Wir treten
ein in ein Gespräch mit Jesus und erwarten, dass er uns die Impulse
für unser Gebet schenkt. Wir werden aufmerksam auf das, was die anderen
sagen und merken auch durch sie, was Jesus mit uns vorhat. Wir kommen nicht
zusammen, um jede und jeder ein persönliches Statement abzuliefern,
sondern um auf Jesu Statement zu hören und miteinander zu reagieren.
Das dritte B ist die Beichte. Vielleicht erwartet man das nicht in einer
evangelischen Kirche, gilt doch der Beichtstuhl als typisch katholische
Einrichtung. Doch Beichten ist für alle Christen nötig. Sie muss
nicht in einem Beichtstuhl und auch nicht regelmäßig jede Woche
zu fester Uhrzeit stattfinden. Doch sie ist so wichtig, wie das tägliche
Zähneputzen. Beichte, im Bild der Zugvögel gesprochen, erledigen
sie auf den Rastplätzen, wenn sie sich putzen und von Staub und Schlamm
befreien, um in der Luft möglichst wenig Dreck mitzuschleppen. Beichte
geschieht hier in einem seelsorglich vertrauten Rahmen. Manche haben eine
feste Bezugsperson, mit der sie regelmäßig auch die dunklen
Seiten ihres Lebens vor Gott bringen. Manche leben das in der Ehe. Einige
führen ein Tagebuch und vertrauen ihm das Innerste an. Beichte ist
nicht nur Müllkippe, sondern Neuanfang. Gottes Vergebung und die persönliche
Zusage: Dir sind deine Sünden vergeben, machen ein Schuldbekenntnis
zu einem Neuanfang. Diese Zusage können wir uns schlecht selbst zusprechen,
da brauchen wir Schwestern und Brüder, die Gottes Wort weitergeben
und uns freisprechen. Dass wir die Befreiung hören, spüren und
die Fesseln gelöst bleiben.
-
Lebt in und mit der Gemeinde.
Jesus nennt die Gemeinde eine neue Familie. Sie entsteht nicht durch Verwandtschaft,
sondern durch die Zugehörigkeit zu Jesus. In der neuen Familie gibt
es stellvertretend für Gott, den himmlischen Vater, auch Eltern. Es
sind die Menschen, die uns zu geistlichen Vorbildern geworden sind oder
werden. Die uns Glaubens- und Lebenserfahrung weiterzugeben haben und die
uns liebevoll begleiten. Wie es Eltern gibt, gibt es auch Kinder in dieser
neuen Familie. Es sind die, die von uns Liebe, Hilfe, Unterstützung
und Anleitung in ihrem Christsein brauchen. Kinder sind die Kirchenkinder
genauso wie die, die nach schlingerndem Lebenskurs ihre Sehnsucht nach
Gott entdeckt haben und hierher kommen, um Jesus kennen zu lernen. Wir
können ihnen Eltern werden, indem wir sie mit Wärme umgeben,
sie ernstnehmen, sie aufnehmen, ein Stück Weg mit ihnen gehen und
uns anbieten, ihnen zur Seite zu stehen. Und wir können von diesen
Kindern genauso lernen, wie von den leiblichen Kindern. Ihre Fragen erweitern
unseren Horizont und lassen uns näher zu Jesus kommen.
-
Neben Eltern und Kindern gibt
es in der Gemeinde jede Menge Geschwister, Schwestern und Brüder.
Schwestern und Brüder leben nicht immer sehr friedlich zusammen, sie
spüren Konkurrenz, sie streiten um Platz und Aufmerksamkeit, sie fühlen
sich bevormundet oder gegängelt und kennen voneinander die Schwächen.
Doch das Netz der Verbundenheit trägt. Im Zweifelsfall werden sie
wie ein Mann oder eine Frau zusammen stehen und sich ihrer Nähe voll
bewusst sein. Warum sollte es in der Gemeinde anders sein. Die neu Aufgenommenen
sind nicht im Eierkuchen der Harmonie gelandet, sondern in einer Geschwisterschar,
die lebendig zusammenlebt. Doch das Netz der Verbundenheit ist stark und
tragfähig. Es ist nicht das gleiche Blut, das sie zusammenhält,
sondern der eine Geist Jesu Christi. Es ist Jesus, der sie immer wieder
auf ihr gemeinsames Ziel und ihre Aufgabe hinweist und sie in die Flugformation
einreiht. Es ist Jesus, der ihnen Liebe in Herz gibt und bereit macht zur
Versöhnung.
-
Nehmt euren Auftrag an. Wenn
ihr durch Jesus hell seid, werdet ihr einen Anziehungspunkt darstellen,
denn Licht lockt an. Lebt als Christen und habt die im Auge, die dieses
Licht in eurer Umgebung brauchen. Lasst euch von Jesus leiten, zu wem er
euch schickt. Er bereitet das Land vor, auf dem ihr rasten sollt, um andere,
die dort auch rasten, mitzunehmen. Lasst euch herausfordern, mit dem euch
einzubringen, was ihr könnt und wo euer Herz schlägt. Ihr werdet
hier gebraucht, um den Auftrag der Gemeinde zu erfüllen. Bei den Grauen
Kranichen wechseln die Vögel während des Fluges ihre Positionen.
Vielleicht lasst ihr euch mal einwechseln, probiert dies und das aus, lasst
euch von anderen mitnehmen und hört auf ihre Anleitung. Wir brauchen
euch und freuen uns, dass ihr mit anpackt, dass möglichst viele das
ferne Ziel erreichen.
Der Zug zum gelobten Land
dauert noch an. Die Worte Jesajas richteten sich auf eine Zeit, die noch
aussteht. Jerusalem ist noch nicht der Wallfahrtsort der ganzen Welt geworden,
an dem Jesus als der wiedergekommene Herr alle Völker willkommen heißt.
Jesaja spricht über seine und unsere Zeit hinaus. Der Advent, den
wir jetzt gerade feiern, ist Zeit der Erwartung dieses neuen Jerusalems.
Zusammen mit Israel erwarten wir die neue Zeit, erwarten wir das Ziel unseres
Zuges zu erreichen. Gottes Zusage gilt für uns als Gemeinde, für
euch, die ihr heute euer Ja zu diesem Herrn und seiner Kirche sprecht,
und für diese Welt.
Jesaja 60,21-22
Dein Volk wird sich nach
meinen
Geboten richten, und nie wieder wird es aus dem Land vertrieben. Es wird
gedeihen wie ein Garten, den ich selbst gepflanzt habe; ich zeige an ihm
meine Schöpfermacht, damit meine Herrlichkeit allen Völkern sichtbar
wird. Es wird wachsen und stark werden; noch die kleinste Sippe wird tausend
Glieder zählen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dies unversehens
herbeiführen, ich, der HERR.
Cornelia
Trick
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