Das ist Gemeinde
Gottesdienst am 27.03.2011

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
gerade haben wir eine Seminarreihe zum Thema „Grundwerte der Gemeinde“ abgeschlossen. Uns wurde das Fundament der Gemeinde wichtig, nach dem sich der ganze Gemeindeaufbau richtet, Jesus Christus. Er bestimmt die Höhe und Breite der Gemeinde, den Standort und die Ausrichtung. So schauten wir uns an, was Jesus während seines Wirkens hier auf Erden getan und gelehrt hat und was wir als Gemeinde fortsetzen. Wir schauten uns sehr genau die Aufträge der Gemeinde an und erkannten fünf Ausrichtungen:

  • Anbetung Gottes,
  • Evangelisation,
  • Gemeinschaft,
  • Wachsen im Glauben und
  • Dienen.
Wir wurden uns klar darüber, wie wichtig es ist, diesen Aufträgen gemeinsam nachzukommen und die gleiche Route zu verfolgen. Wir stellten uns vor, als Gemeinde in einem Ruderboot zu sitzen. RuderbootJeder und jede hat ein Paddel in der Hand und will die Richtung ansteuern, die er oder sie am besten findet. Es kann sein, dass dieses Ruderboot sich nie vom Fleck bewegt, weil jeder in eine andere Richtung will und sich alle blockieren. Es kann auch sein, dass es im Kreis fährt, auch keine Idealvorstellung für einen Ruderwettbewerb oder ein Gemeindeleben. So ist es für die Gemeinde von elementarer Bedeutung, sich immer wieder über den Kurs zu verständigen, um dem Ziel nahe zu kommen, das Gott für seine Gemeinde gesetzt hat.

Dabei wurde uns auch deutlich, dass Einheit nicht bedeutet, dass alle einer Meinung sind. Gott hat uns unterschiedlich geschaffen, deshalb ist Verschiedenheit geradezu Programm im Leib Christi, der Gemeinde. Die Einheit ist möglich durch den gemeinsamen Bezugspunkt Jesus Christus. Er gibt den Kurs und das Ziel vor. In ständiger Verbindung zu ihm und gemeinsamem Hören auf ihn wird klar, wo die Reise hin geht. 

Der Apostel Paulus machte reichhaltige Erfahrungen mit Gemeinden, die diese Einheit verloren hatten. In der Gemeinde in Korinth entstanden Spaltungen durch Parteien und unterschiedliche Auffassungen. Die ganze Gemeinde war in akuter Gefahr, das Ziel in weite Ferne gerückt. In der Gemeinde in Ephesus erlebte Paulus Christen, die sich selbst als Mittelpunkt sahen, das Ihre suchten, nicht Christus. Auch hier ruderte die Gemeinde im Kreis, kam nicht vom Fleck, konnte die Aufträge Jesu nicht erfüllen und stand nahe davor zu kentern. So wundert es nicht, dass Paulus seine Lieblingsgemeinde in Philippi warnte, an der Einheit festzuhalten und sie immer wieder zu erarbeiten.

Philipper 2,1-5

Bei euch gibt es doch das ermutigende Wort im Auftrag von Christus; es gibt den tröstenden Zuspruch, der aus der Liebe kommt; es gibt Gemeinschaft durch den Heiligen Geist; es gibt herzliches Erbarmen. Dann macht mich vollends glücklich und habt alle dieselbe Gesinnung, dieselbe Liebe und Eintracht! Verfolgt alle dasselbe Ziel! Handelt nicht aus Selbstsucht oder Eitelkeit! Seid bescheiden und achtet den Bruder oder die Schwester mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an den der anderen, jeder und jede von euch! Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat. 

Paulus nennt vier Lebensäußerungen der Gemeinde, die ihre Grundwerte widerspiegeln. Wir sollten diese Stichworte anschauen und uns selbstkritisch fragen, ob sie bei uns präsent sind und sich in unserem Gemeindeleben äußern.

Das ermutigende Wort im Auftrag von Christus

Die Gute-Nachricht-Übersetzung nennt es das ermutigende Wort, Luther übersetzt es mit Ermahnung. Jesus Christus gibt der Gemeinde offenbar ein Wort, das korrigierend und motivierend die Richtung zum Weiterrudern anzeigt. Jesus redet zur Gemeinde, aber auch zu jedem Einzelnen. Jeder ist Mitwirkender, wenn es um den Kurs der Gemeinde geht. Schon einer, der in eine andere Richtung rudert, stört die Richtung des Bootes empfindlich und bringt vom Kurs ab. Jesus gibt sein Wort in der Bibel. Wir hören ihn, wenn wir die Evangelien studieren, uns vergegenwärtigen, was Jesus damals gesagt und getan hat und was für uns heute genauso gilt. Wir hören Gott, wenn wir sein Volk studieren, die Wege und Abwege, die Bewahrungen und die Konsequenzen aus seinen Verfehlungen. 

Dieses Bibelstudium heißt nicht, sich mit Lieblingstexten zu umgeben und nur sie zur Wirkung kommen zu lassen. Es fällt uns vermutlich leichter, uns auf Jesu Zuspruch, dass er alle Tage bei uns ist, einzulassen, als die Aufforderung gelten zu lassen, die in der Bibel unmittelbar vorausgeht: Machet zu Jüngern! Es ist bequemer, sich am Abend auf dem Sofa eine Decke um die Schultern legen zu lassen, als noch mal das Haus zu verlassen und jemand zu besuchen, der unser Ohr braucht. Es macht mehr Spaß, die vertraute Gruppe zu besuchen, die vertrauten Themen zu behandeln und sich ganz einig in der Gemeinde- und Weltsicht zu sein, als ins Bibelgespräch zu gehen und sperrige Bibeltexte zu uns sprechen zu lassen, die uns ganz klar aufrütteln und infrage stellen. So ist das Wort Christi beides. Es ermutigt, sich immer wieder an Jesus zu wenden und von ihm die Richtung und den Kurs zu erbitten, aber es korrigiert auch, wo wir uns zu wohl in unseren eigenen Gedanken, Weltsichten und Kursfestlegungen fühlen.

Für unsere Gemeinde habe ich in dieser Seminarreihe erkannt, dass genau diese Auseinandersetzung mit dem Wort Christi nicht gerade unser Schwerpunkt ist. Wir sind schon zufrieden, wenn 10% von uns stellvertretend die Bibel intensiv studieren. Doch können wir uns damit wirklich zufrieden geben? Gefährden wir durch diese Haltung nicht die Einheit? Führt das nicht zur Immunschwäche und zum Verlust des gemeinsamen Kurses?

Der tröstende Zuspruch aus Liebe

Mit diesem zweiten Stichwort thematisiert Paulus Seelsorge. Er meint damit nicht den Small-Talk im Vorbeigehen, sondern ein intensives Anteilnehmen und Teilen von Leben und Schmerzen. Das gelingt in einer Gemeinde am besten in Kleingruppen, die sich häufiger treffen und sich öffnen füreinander. Zwei elementare Grundbedürfnisse von uns Menschen werden mit einem tröstenden, liebevollen Zuspruch gestillt, verstanden zu werden und die eigenen Gefühle bestätigt zu bekommen. 

Merkwürdigerweise gelingt diese Nähe erst, wenn unsere Beziehungen eine gewisse Tiefe erreicht haben. Zu Beginn einer solchen tieferen Beziehung treffen wir uns, teilen uns mit, sagen einander, was uns freut und Sorgen macht. Wir tauschen uns im Hauskreis aus über einen Bibeltext, über ein Thema und wenden es auf unser Leben an. Wir gehen nach zwei Stunden auseinander, nehmen Anregungen mit und setzen bestenfalls etwas davon um.

Tiefer wird unsere Beziehung, wenn wir einen gemeinsamen Auftrag ausführen, uns zusammentun, um eine Aufgabe zu bewältigen. Ein Hauskreis bereitet z.B. einen Gottesdienst vor. Es gibt viel zu planen, zu besprechen, am Ende muss einer sich auf die andere blind verlassen können, jeder und jede weiß, wofür er verantwortlich ist, die Gruppe wächst zusammen und gewinnt eine neue Nähe. Das Persönliche rutscht aus dem Blickfeld, Christus und sein Auftrag kommen ins Zentrum, Einheit wird erlebt. Diese Nähe wird noch intensiver in der Leidensgemeinschaft, wenn jemand in eine schwierige Situation geraten ist und die anderen mittragen, wenn in anderen Teilen der Welt Verfolgung droht und die Gemeinde zusammenhalten muss. Das kann nur geschehen, wenn Christus für alle greifbar in der Mitte ist und das Ruderboot fest auf Kurs hält.

Sind wir bereit, uns einander zu öffnen und anzuvertrauen? Können wir Gefühle der Rivalität und Konkurrenz besiegen, weil wir einander als vor Jesus gleich Geliebte wahrnehmen? Vertrautheit braucht Zeit, will sich bewähren und in besonderen Situationen erprobt sein. Wenn wir unseren gemeinsamen Auftrag stärker wahrnehmen, weniger auf uns und unsere Bedürfnisse schauen, sondern auf das, was Jesus mit uns bewirken will, wird es uns leichter fallen, in eine Richtung miteinander zu gehen, Erfahrungen miteinander zu sammeln und Probleme miteinander zu bewältigen.

Tröstender Zuspruch geschieht häufig in Mitarbeiterteams oder zwischen Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Sie können sich besonders in die Situation derer hineinversetzen, die Trost brauchen. Sie können glaubhaft rüberbringen: „Ich weiß, wovon du redest!“ Wer braucht unseren tröstenden Zuspruch, dass er wieder gerne das Ruder zur Hand nimmt und mit neuer Zuversicht dem Ziel entgegenrudert?

Die Gemeinschaft durch den Heiligen Geist

Christus in der Mitte vermittelt Beziehungen untereinander. Leider schauen wir bei unseren Beziehungen eher auf das, was uns unterscheidet und trennt, als auf das, was uns eint. So Vieles eint uns in der Gemeinde: Wir haben einen Herrn, bilden einen Leib, haben die gleichen Aufträge, haben einen Vater im Himmel, leben von der Kraft eines Geistes, haben eine gemeinsame Hoffnung, bekennen uns zum gemeinsamen Glauben, haben die gleiche Taufe, sind in einer Liebe beieinander, leben auf eine gemeinsame Zukunft hin. Mal ganz ehrlich, wie viele Gemeinsamkeiten brauchen wir noch? Bei dieser Sammlung von Themen, die uns einen, müssen die persönlichen Differenzen ganz automatisch in den Hintergrund treten. Sie sind vorläufig und können sich ändern. Sie machen unsere gewollte Unterschiedlichkeit aus und bereichern das Gemeindeleben. Aber sie trennen nicht, sie führen nicht zur Spaltung, solange wir uns auf unsere gemeinsame Mitte konzentrieren. Gottes Absichten für unsere Gemeinde einen uns, das von ihm gesetzte Ziel lässt uns miteinander losgehen, die verheißene Gemeinschaft im Reich Gottes befriedet unsere Differenzen.

Natürlich träumen wir alle von der idealen Gemeinde ohne Spannungen, dieses Ideal treibt uns an, lässt uns unterwegs bleiben und nie zufrieden mit dem Ist-Zustand bleiben. Doch erreichen werden wir das Ideal nicht, denn eigentlich müsste an unserer Kirchentür stehen: „Fehlerlose Menschen sind hier nicht richtig, diese Gemeinde ist eine Zuflucht für Menschen mit Fehlern, Schuld und Macken, die Gottes Erbarmen brauchen und die sich weiterentwickeln wollen.“ Jeder, der sich fehlerlos fühlt oder weniger fehlerhaft als andere, stört die Einheit. Er stellt das fehlerlose Ich in die Mitte, nicht Jesus Christus. Er rudert nach dem eigenen Kurs, nicht nach dem, den Jesus vorgibt. 

Herzliches Erbarmen

Mit herzlichem Erbarmen ist der Dienst in und an der Welt gemeint. Dieses Erbarmen ist unser Schaufenster zur Welt. Wie wir Gottesdienst feiern, wie wir in unseren Hauskreisen zusammen sitzen, wie unser Jugendkreis abläuft oder die Chöre üben, sehen die Menschen auf der Straße nicht. Vielleicht erzählt ihnen mal jemand davon, wie die Jugendlichen Donnerstagabend gerne beieinander sind, Bibelarbeit machen, Themen des Glaubens behandeln. Aber wirklich miterleben tun sie es nicht. 

Hautnah erfahren können die Menschen um uns herum Gemeinde, wenn sie sich denen zuwendet, die Hilfe brauchen. Sie erleben die Hospizhelferinnen der Gemeinde an den Betten der Sterbenden, sie erfahren Seelsorge in persönlichen Gesprächen, sie bekommen Entlastung, wenn Kindergruppen ihnen Freiräume ohne Kinder verschaffen. 

In unserem Gemeindeseminar zu den Grundwerten der Gemeinde stellten wir fest, dass es auf diesem Gebiet durchaus noch Handlungsbedarf gibt. Unser Hören ist gefragt, wo Menschen in unserem Umfeld unser Erbarmen brauchen.

Paulus wünscht sich von der Gemeinde Philippi, dass sie einmütig, in Eintracht beieinander ist. Eintracht fällt einem nicht in den Schoß, sondern ist harte Arbeit. Vielleicht ist unser Frankfurter Fußballverein „Eintracht Frankfurt“ gerade ein gutes Bild dafür. Die Eintracht ist stark abstiegsgefährdet, das hat viele Gründe, einer davon – aus meiner Sicht einer der wichtigsten, ist, dass die Eintracht in der Mannschaft schleichend verloren ging. Nun gibt es einen neuen Trainer, der die Hoffnung aufkommen lässt, dass mit viel Training und einem neuen Kopf die Eintracht gerettet werden kann. 

Wir haben den besten Trainer, den man sich wünschen kann, Jesus Christus. Er ist unser Kopf, er hat ständig neue Trainingsideen, und er ist niemals ausgelaugt, ohne Ideen, ohne Ziel. Aber er erwartet von uns, dass wir mitmachen, dass wir uns auf ihn einlassen und alles geben. Sind wir bereit, Gott zu lieben, andere zu Christus einzuladen, Gemeinde so zu gestalten, dass junge Christen aufgenommen werden können, sind wir verantwortungsvoll für unser persönliches Wachsen und bereit zum Dienst an der Welt?

Können wir dazu Ja sagen, dann werden wir das Ruderboot mit Gottes Hilfe und Jesu Leitung zum Ziel bringen – und unterwegs jede Menge Menschen mitnehmen, die auch noch in diesem Boot Platz haben.

Cornelia Trick


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