Da berühren sich Himmel und Erde
Gottesdienst am 22.02.2004

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in Pompeji ist eine bemerkenswerte Wandmalerei freigelegt worden, ein Esel, der am Kreuz hing. Man geht davon aus, dass dies eine Karikatur des christlichen Glaubens aus römischer Zeit darstellen soll. Der Maler oder die Malerin wollte damit zum Ausdruck bringen, dass wer Jesus Christus folgt, genauso auch einem Esel folgen könnte. Christlicher Glaube ist nach dieser Zeichnung Eselei.

Aus der Sichtweise römischer Religiosität ist das nicht weiter verwunderlich. Wie kann ein Göttersohn sich in die Willkür der Menschen fallen lassen? Wie kann Gottvater die Geschicke der Menschen so wichtig nehmen, dass er seinen Sohn zu den Menschen schickt und diesen auch noch umbringen lässt? Wie kann ein Gott so ohnmächtig sein? Das zu glauben ist Eselei. Macht und Ohnmacht können nicht vereint sein. So glaubten Christen nach Meinung der römischen Landsleute an einen toten Gott.

Paulus lebte unter diesen Leuten, die seinen Glauben an Jesus Christus als Eselei abtaten. Er kannte ihre Argumente und musste sich ihnen täglich stellen. Die Bedeutung von Jesus Christus konnte er nur vor diesem Hintergrund herausstellen. So wundert es nicht, dass er seinen sehr persönlichen Brief an die Gemeinde in Korinth damit beginnt, die Bedeutung der Kreuzigung Jesu für den Glauben herauszustellen. Er schaffte damit das Fundament, um die Gemeinde, die offensichtlich in mehrerer Hinsicht in der Zerreißprobe stand, zu einen.

1.Korinther 1,18-25

Die Botschaft, dass für alle Menschen am Kreuz die Rettung vollbracht ist, muss denen, die verloren gehen, als barer Unsinn erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren darin Gottes Kraft. Gott hat doch gesagt: "Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und die Klugheit der Klugen verwerfen." Wo bleiben da die Weisen? Wo die Kenner der Heiligen Schriften? Wo die gewandten Diskussionsredner dieser Welt? Was für diese Welt als größter Tiefsinn gilt, das hat Gott als reinen Unsinn erwiesen. Denn obwohl die Weisheit Gottes sich in der ganzen Schöpfung zeigt, haben die Menschen mit ihrer Weisheit Gott nicht erkannt. Darum beschloss er, durch die Botschaft vom Kreuzestod, die der menschlichen Weisheit als Torheit erscheint, alle zu retten, die diese Botschaft annehmen. Die Juden fordern von Gott sichtbare Machterweise; die Griechen suchen in allen Dingen einen Sinn, den die Vernunft begreift. Wir aber verkünden den gekreuzigten Christus als den von Gott versprochenen Retter. Für Juden ist das eine Gotteslästerung, für die anderen barer Unsinn. Aber alle, die von Gott berufen sind, Juden wie Griechen, erfahren in dem gekreuzigten Christus Gottes Kraft und erkennen in ihm Gottes Weisheit. Gott erscheint töricht - und ist doch weiser als Menschenweisheit. Gott erscheint schwach - und ist doch stärker als Menschenkraft.

Das Kreuz Jesu widerspricht dem Glauben der Umwelt so radikal, dass es zum Erkennungszeichen der Christen wurde. Paulus eröffnet hier zwei Blickwinkel aufs Kreuz.

  • Leute, die das Kreuz als Zuschauer betrachten, bezeichnen das Kreuz als baren Unsinn.
  • Leute, die Jesus begegnet sind, der auferstanden ist, bezeugen darin Gottes Kraft. Das Holz lebt, es ist Wegweiser und Verbindungsstück zu Gott.
Die verschiedenen Sichtweisen des Kreuzes sind heute so aktuell wie damals. Im Zusammenhang der öffentlichen Diskussion, ob Musliminnen als beamtete Lehrerinnen das Kopftuch als Zeichen ihres Glaubens tragen dürfen, wird auch das christliche Symbol des Kreuzes thematisiert. Wenn Beamtinnen mit Lehrauftrag sich weltanschaulich neutral verhalten müssen, um niemand ihre Glaubensüberzeugung aufzuzwingen, dann, so argumentieren manche, muss auch das Kreuz verschwinden. Es steht für den christlichen Glauben und könnte Andersgläubige beeinflussen.

Leider ist in diesen Diskussionen sehr wenig über das Kreuz Ein Kreuzund seine eigentliche Bedeutung zu hören. Um so mehr streiten sich die Kontrahenten über die politischen Konsequenzen einer christlichen und einer muslimischen Kultur. Das Kreuz wird zum Zeichen der abendländischen Kulturgeschichte degradiert. Eine Büste Karls des Großen oder Goethes, so könnte man denken, würde den Zweck auch erfüllen. 

Als ich die Ausführungen des Paulus vor ein paar Tagen las, wurde mir bewusst, wie aktuell seine Worte heute sind. Hier wird nicht politisch und kulturgeschichtlich argumentiert, sondern davon gesprochen, dass das Kreuz Gotteskraft ist und Leben verändert.

Drei Bedeutungen des Kreuzes, die ich von Paulus Worten ableite, entfalte ich im Folgenden.

Das Kreuz ist Bekenntnis

Eine Unterschrift beglaubigt ein Dokument. Sie ist nötig, um auszuschließen, dass das Dokument von einem Unbefugten unterzeichnet ist und damit wertlos wird. Wenn ich mein Verhältnis zum Kreuz bedenke, erscheint es mir wie eine Unterschrift. Ich kann das Kreuz an der Wand hängen lassen und es wie eine Eselei betrachten. Es wird keine Bedeutung für mich gewinnen. Es ist wie ein Dokument ohne Unterschrift - bestenfalls darauf angelegt, vielleicht irgendwann einmal die Unterschrift zu bekommen.

Ich kann mich aber auch zum Kreuz stellen, es berühren und von ihm berührt werden. Ich kann meine Unterschrift geben und diese Gotteskraft erfahren. Dann bleibt das Kreuz nicht mehr als Möbelstück an der Wand hängen, sondern ist Symbol für meine Beziehung zu Gott. Jesus ist für mich am Kreuz gestorben. Er hat das Ende meines Lebens auf seine Schultern gepackt. Er hat mich nicht allein gelassen mit meiner Schuld, meinem Versagen, meinem Egoismus auf Kosten anderer und meiner Sucht nach Anerkennung, die mich fertig gemacht hat. Er ist mit seinem Kreuz in meinen Weg getreten und eröffnete mir einen neuen Weg in die Zukunft. Mit Jesus zu leben, bedeutet nun: Gott liebt mich. Er hat mich geschaffen, um ihm Freude zu machen. Er hilft mir, mein Lebenspotential zu entfalten. Er hilft mir, meine Nächsten im Blick zu haben und sie zu achten. Er ermächtigt mich, für ihn zu leben und mich nach seinem Willen zu richten.

Das Kreuz ist für mich ein ganz persönliches Bekenntnis. Ich brauche Jesus. Ich vertraue darauf, dass Jesus für mich gestorben ist, damit ich lebe. Ich gehöre zu Jesus, der mein Herr und mein Retter ist. So ist das Kreuz für mich Signal, dass Gott, der Vater Jesu Christi, die oberste Autorität für mich ist. Ich halte mich an das, was er mir sagt und von mir will.

Das Kreuz in öffentlichen Räumen ist von diesem Bekenntnis her ein Korrektiv für Christen: Wem bist du in letzter Instanz verpflichtet? Unter welche Regeln und Gebote hast du deine Unterschrift gesetzt? Das Kreuz ist Eselei und bedeutungslos für die, die Jesus Christus nicht nachfolgen und ihre Unterschrift nicht geleistet haben. Sie könnten es als Traditionsgut einordnen, es sei denn, es beschleicht sie die Ahnung, vom Kreuz doch in Frage gestellt zu werden.

Das Kreuz ist Symbol für "Jesus in mir"

Im Kreuz verbindet sich Jesus mit meinem Leben. Da mein Tod in seinem aufgehoben ist, darf ich nun mit ihm leben. Jesus wird mein Denken und Handeln, mein Ruhen und Gestalten bestimmen und durchdringen. Ich denke da an die kleine Silberzange, mir der Silberdraht in Form gebracht wird. Jesus ist kein Bolzenschneider, der mich einfach in seine Richtung zwingt und Richtungen, die ihm nicht gefallen, brutal abschneidet. Er ist eine feine Zange mit viel Feingefühl. Er setzt genau an der richtigen Stelle an, um mich zu formen und um mir zu helfen, in seine Richtung zu wachsen. Doch Jesus ist keine magische Kraft, die ohne alles Zutun mein Leben regelt. Ich kann das Kreuz nicht einfach wie einen Virenscanner über meine Festplatte laufen lassen und schon bin ich wieder frei von allen Fehlentwicklungen. Jesus legt seine Silberzange an, er wartet auf mein Mitmachen, meine eigenen Schritte in seine Richtung. 

Vielleicht geht es Ihnen so, dass Sie sich zu Jesus bekennen, auch erfahren, dass Jesus in Ihnen wirkt und Sie verändert. Aber gewisse Konflikte bleiben unverändert bestehen. Die Beziehung zu Ihrer Freundin ist gestört, in Ihrer Arbeit finden Sie keine Befriedigung, in Ihrer Familie ist nicht eitel Sonnenschein, die Kinder sind motzig, Sie hilflos und überfordert. Sie fragen sich, warum Jesus seine Zange nicht längst an ihrem Lebensweg ansetzt und einiges gerade biegt. Sie warten auf das Wunder von oben ohne Ihr Zutun. Sicher, solche Wunder geschehen. Aber sind sie die Norm? Zeigte Jesus uns nicht, dass er auf unsere mutigen Schritte im Vertrauen auf ihn wartet? Ein Petrus musste selbst aus dem Boot steigen, um auf dem Wasser Jesus entgegen zu laufen. Ein Hauptmann von Kapernaum lief Jesus entgegen, um ihn zu bitten, seinen Knecht zu heilen. Ich kann nicht Jahre lang vor dem Telefon sitzen und darauf warten, dass sich meine Freundin bei mir entschuldigt. Jesus hat mir Hände geschenkt, um den Telefonhörer zu ergreifen und die Nummer zu wählen. Seine Leitung erlebe ich, wenn er meine Angst beruhigt und in mir Liebe und Versöhnungsbereitschaft weckt.

Das Kreuz ist Zeichen, dass Jesus in mir Veränderungen in seine Richtung bewirkt. Ich kann ihm vertrauen und meine Lebensaufgaben offensiv anpacken.

Das Kreuz steht für einen Neubeginn

Das Kreuz ist Zeichen für mich, dass meine "alte Eva" nun wirklich tot ist. Ich muss sie nicht immer wieder zum Leben erwecken. Die Versuchung ist groß, in die alten Muster zurückzufallen. Die Angst zu versagen, zu kurz zu kommen, die Neugier auf verbotene Wege, der Ungehorsam gegenüber Gottes Geboten sind Verhaltensweisen, die tief in mir stecken und nicht von heute auf morgen durch eine Unterschrift vom Tisch gefegt werden können.

Doch gerade hier zeigt sich, dass das Kreuz nicht nur ein Symbol ist, sondern Gotteskraft in sich trägt. Jesus ermächtigt mich dazu, nach vorne zu schauen und vorwärts zu gehen. Er zeichnet mir die Vision vor Augen, dass er in der neuen Welt auf mich wartet. In diese Vision kann ich mit seiner Hilfe hineinwachsen. In schlafloser Nacht, wenn Sorgen mich nicht schlafen lassen, kann ich beten: Jesus sei stark in mir und nimm mir die Gedanken der Sorge. In der Versuchung kann ich beten: Jesus, lass mich widerstehen. Auf dem Gipfel der Anerkennung kann ich bitten: Jesus, gib mir Demut und meinen Platz zum Dienen.

Das Kreuz ist Gotteskraft. Es fordert heraus zur Entscheidung, erinnert an die Baustellen, lässt Schuld und Sünde begraben sein und eröffnet neues Land. Damit ist das Kreuz Zentrum des Glaubens. Gott ist in Jesus meinen Tod gestorben, dass ich befreit leben kann.

Es kann keinen Zwang zum Kreuz geben, denn seine Bedeutung erschließt sich erst dem oder der Glaubenden. Wer ein Kreuz als Bekenntnis trägt, der oder die zeigt: Ich lebe aus Gottes Kraft, weil Jesus in mir ist. Er oder sie drückt damit auch einen stummen Protest aus. Es gibt keine Herrschaft dieser Welt, die die Kraft Gottes beherrschen und unterdrücken könnte. Verpflichtet ist ein Christ letztlich nur Gott selbst. Von daher wundert es nicht, dass mit den Kopftüchern auch die Kreuze verbannt werden sollen. Sind die Kopftücher Ausdruck einer politischen Kultur, die die Rechte der Frauen einschränkt, sind Kreuze Ausdruck der Infragestellung menschlicher Macht und Herrschaft durch Gott selbst. Ich bin dankbar, dass es in unserem Land viele Christen gibt, die sich von Gott infrage stellen lassen wollen und das Kreuz als seinen Zeigefinger deuten, dass er der Herr dieser Welt ist.

Doch unabhängig von dieser Diskussion bleibt das Kreuz Mittelpunkt des Glaubens an Gott, der sich in Jesus uns geschenkt hat, damit wir mit ihm leben können.

Etwas Festes muss der Mensch haben,
daran er zu Anker liege,
etwas, das nicht von ihm abhängt,
sondern davon er abhängt.
Matthias Claudius

Cornelia Trick


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