Berufen (Matthäus 9,9-13)
Gottesdienst am 27.01.2013

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
„Der Schatten des Galiäers“ von Gerd Theißen handelt von Markus, der Jesus kennen lernen will. Er geht Jesus hinterher, kommt aber immer einen Schritt zu spät. Bei den verschiedenen Stationen trifft er auf Menschen, die ihm von Jesus und seinem Wirken erzählen. Markus wird zu einem Nachfolger Jesu, der ihm – wie wir Leser – nie persönlich begegnet ist. Eine Szene seiner Wanderung ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Markus reist nach Bethsaida und erwartet an der Zollstation einen ihm gut bekannten Zöllner. Doch statt seiner ist dort ein ganz neuer. Markus fragt ihn nach seinem Bekannten, worauf es aus dem neuen Zolleinnehmer herausbricht: Sein Vorgänger wurde von Jesus angesprochen und hat alles stehen und liegen gelassen, um mit ihm zu ziehen. Das wäre ja kein Problem, aber vor seinem Aufbruch hatte er noch ein großes Abschiedsfest mit lauter abgewrackten Typen aus der Gegend in seinem Zollhaus gefeiert. Nun kommen diese Leute ständig zu ihm und wollen weiterfeiern. Dabei hat er doch mit diesem Jesus gar nichts zu tun. Er wird diese Leute einfach nicht mehr los.

Eine kurze Jesus-Begegnung wird aus einer anderen Perspektive erzählt. Jesus ist in bestehende Systeme eingebrochen. Er hat Unruhe verursacht. Er hat die Sehnsucht der Unterprivilegierten geweckt, dass es im Leben mehr als dieses Betteldasein geben muss. Jesu Wirken hatte an dieser Zollstation Folgen. Wo Jesus ruft, betrifft es mehr als diesen Einen, der gerufen wurde.

Matthäus 9,9-13

Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.  Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern.  Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Jesus ruft

Jesus sieht den Zolleinnehmer Matthäus. Eigentlich scheint er völlig unbrauchbar für Jesu Team. Er ist durch seine oft unseriösen Geschäfte mit der nichtjüdischen Besatzungsmacht vor dem Gesetz unrein. Er wird von den Bürgern verachtet. Er ist mit seinem eigenen Geschäft sesshaft in der Stadt. Wie soll er Vertreter Gottes werden? Wie soll er missionieren, wenn die Leute in ihm nur den Lügner und Betrüger sehen? Wie soll er mit Jesus mitgehen, wenn er doch mit seinem Arbeitsplatz gebunden ist?

Jesus sieht einen völlig unpassenden Menschen, um genau ihn in sein Team zu rufen. Jesus sieht offenbar tiefer, als wir es tun. Er entdeckt Unzufriedenheit, Sehnsucht und wohl auch tiefes Schuldbewusstsein. Er hört den stummen Schrei: Hol mich hier raus! Er antwortet auf diesen Schrei, indem er dem Mann die Hand hinstreckt und ihn beruft. Matthäus muss nur noch einschlagen.

Wir sind nicht Matthäus an einer Zollstation in Galiäa vor 2000 Jahren. Wir sind nicht Kollaborateure mit feindlichen Mächten, betrügen wahrscheinlich eher nicht, sind in unserer Umgebung geschätzt und sehen nicht aus, als ob wir uns in einem Gefängnis befänden. Doch auch uns sieht Jesus an, und er sieht tiefer. Er berührt uns an einer Stelle, wo wir für sein Retten empfindlich sind. Er hört auf unsere Suche nach Glück, unser Weinen im Unglück, spürt unsere Sehnsucht nach einem, der zu uns steht, und unseren Wunsch, mehr zu tun als das Übliche. Jesus ruft auch uns heraus aus unseren persönlichen Gefängnissen, wo nichts mehr geht und wir uns verstrickt haben in alle möglichen Wenns und Abers. Er hält uns seine Hand hin und sagt: Folge mir! Das muss keinen Ortswechsel und Umzug zur Folge haben oder einen radikalen Umbruch der Lebenssituation. Manchmal brauchen wir nur seine deutliche Stimme, um wieder unseren Platz zu finden und anzunehmen. Jesus lädt uns in eine Schule des Hörens ein. Hören können wir, wenn wir selbst aufhören zu reden, unsere Vorstellungen loslassen, unseren Kopf frei bekommen für die neue Weisung Jesu.
In dieser Jesusbegegnung scheint der Ruf und die Antwort des Matthäus in Sekundennähe zu geschehen. In unserer Erfahrung vergeht zwischen Ruf und Antwort oft eine längere Zeit, in der wir die Fürbitte unserer Weggefährten dringend nötig haben.

Matthäus steht auf und folgt

Zwei Männer treffen aufeinander, und etwas Neues beginnt. Jesus ist das Licht, das wir schon aus der Weihnachtsgeschichte kennen, der Stern von Bethlehem. Die Magier folgten dem Licht Jesu, die Geheilten wurden vom Licht Jesu durchflutet. In der Bergpredigt sagt Jesus seinen Nachfolgern zu, dass sein Licht zu ihrem Licht wird, sie Licht der Welt sind.

Matthäus lässt dieses Licht in sein Leben ein. Er fängt in diesem Licht etwas Neues an und wird zu einem wichtigen Teammitglied in Jesu Mannschaft. Der Unbewegliche wird beweglich. Der Verachtete zum Missionar, der Unreine zu Gottes Bote. 

Die zweite Gruppe dieser Jesus-Begegnung kommt ins Spiel, die mitfeiernden Freunde beim Abschiedsmahl. Sie wurden von Matthäus, aber eigentlich von Jesus selbst zu Tisch geladen. Ihre Tischgemeinschaft auf dem Wege ist Vorzeichen unserer Mahlgemeinschaften mit Jesus und Hinweis auf das endzeitliche Freudenmahl, wenn Jesus uns in seiner Ewigkeit den Tisch deckt. Sind nicht wir hier auch solche Freunde, die durch einen Menschen aufmerksam auf Jesus wurden? Was geschah mit uns, als wir vom Tisch aufstanden? War da jemand, der sich um uns gekümmert hat, uns das Evangelium lieb machte, für uns sorgte, bis wir selbst andere einladen konnten? Und wie gehen wir mit denen um, die hier in der Gemeinde einfach vorbeikommen? Lassen wir sie wieder gehen wie damals an der Zollstation, oder gehen wir mit ihnen weiter?

Auch wenn auf dieser 2. Personengruppe sicher nicht der Schwerpunkt dieser Jesus-Begegnung liegt, so fragt sie uns doch ernsthaft an, wie wir es mit denen halten, die wir zum Feiern einladen. Bleiben wir an ihrer Seite, hat Gemeinde eine Chance zu wachsen. Lassen wir sie laufen, wurde zwar ihre Sehnsucht geweckt, aber nicht gestillt.

Und eine dritte Gruppe taucht auf, die Pharisäer, immer wieder fromme, gesetzestreue Widersacher, die eigentlich Jesus besonders nahe sein müssten. Sie verstehen die Szene nicht. Wie kann Jesus, der Gott zu repräsentieren meint, sich in die Nähe von unreinen Sündern begeben? Das passt nach ihrer Meinung nicht zusammen. Jesus, so demonstriert er das hier in eindrücklicher Weise, ist stärker als die Sünde. Sünde und Unreinheit ist keine Bedrohung für ihn. Sein Licht kann auch die schlimmste Dunkelheit nicht schlucken. Im Gegenteil, wo Jesus ist, muss Sünde kapitulieren.

Jesus gibt den Widersachern drei Antworten:

Die erste entstammt der Alltagslogik. Jesus kann erwiesenermaßen heilen, was von seinen Gegnern nicht bestritten wird. Er ist also Arzt und damit für die Kranken zuständig. Jesus thematisiert nicht Sünde und Schuld oder das Befolgen von religiösen Regeln. Krank werden kann jeder, gesund zu sein ist kein Verdienst. Weil jeder krank werden kann, brauchen alle einen Arzt, die Zöllner und Sünder sowie die Pharisäer.

Die zweite Begründung gibt Jesus mit einem Zitat aus der Heiligen Schrift. Gott will Barmherzigkeit, weil er barmherzig ist. Dem können die bibelkundigen Pharisäer nicht widersprechen. Wer von dieser Barmherzigkeit Gottes lebt, braucht nicht zuerst korrektes Verhalten an den Tag legen, bevor Gott sich erbarmt. Er kann in diesem Ja Gottes unbeschwert leben und sich für die Nöte der Menschen um ihn herum öffnen.

Zum Dritten thematisiert Jesus das Ziel seiner Sendung. Er ist für die da, die stecken geblieben sind und eine Chance zum Aufstehen und Weitergehen brauchen. Jesus will aus der Enge in die Weite führen und neue Möglichkeiten des Lebens zeigen. Natürlich ist Jesus auch für Gerechte da, doch nur in dieser Weise, dass auch die Gerechten ihre Begrenzungen wahrnehmen und sich nach Gottes Erbarmen ausstrecken.

Auch die vierte Gruppe, zu der Jesus redet, wollen wir in Blick nehmen. Es ist die Gemeinde. Direkt zur Gemeinde sagt Jesus: Übt Barmherzigkeit an Menschen, die in euren Augen vom rechten Weg abgekommen sind. Schätzt die nicht gering, die von mir Würde bekommen. Seht in ihnen Menschen, die ich von Herzen liebe und die ich mit dieser Liebe beschenken will – durch euch!

Jesus predigt in der Gemeinde zu denen, die sich auf die Seite der Frommen und Richtigmacher stellen würden. Jesus wirbt um ihre Zustimmung, die Verstrickten und Isolierten einzuladen und in die Tischgemeinschaft zu rufen.

Jesus predigt in der Gemeinde zu denen, die sich zu den Sündern zählen würden, die an Messlatten gescheitert sind und Fehler begangen haben. Sie stehen vielleicht nur am Rand des Geschehens, wollen durch ihre Anwesenheit die Gemeinde nicht durcheinanderbringen. Doch genau um sie geht es Jesus. Er lässt sich nicht dahin kommandieren, wo wir ihn erwarten, sondern ist da, wo er sein will. Manchmal ist das nicht ein Ort, wo wir sein Wirken erwarten.

Es gibt wohl niemand unter uns, der reiner Pharisäer oder Sünder ist. Wir haben von allem etwas in uns, erheben uns leicht über andere, finden, dass andere nicht richtig glauben, sind der Meinung, unser Leben selbst am besten im Griff zu haben. Wir brauchen deshalb dringend unseren Arzt, der uns heilt. Mit ihm zu feiern, sind wir eingeladen. Der reiche junge Mann, der Jesus in einer anderen Stadt begegnete, lief davon. Er wollte sich der Behandlung durch Jesus nicht unterziehen und blieb in seinem alten Leben. Matthäus dagegen ließ sich rufen und stand auf in ein neues Leben für Gott. Lassen wir uns auch rufen und stehen auf, um Jesus zu folgen?

Cornelia Trick


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