Auf gepackten Koffern
Gottesdienst am 30.11.2003

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
ein Tourist darf im Kloster bei Karthäuser-Mönchen übernachten. Er ist erstaunt über die spärliche Einrichtung ihrer Zellen. Er fragt einen Mönch, ob er denn keine Möbel habe. Der antwortet schlagfertig: "Ja, wo haben Sie denn Ihre Möbel?" "Meine?", erwidert der Tourist verblüfft, "ich bin doch nur auf der Durchreise." "Eben", wirft der Mönch ein, "das sind wir auch."

Diese Geschichte passt zum ersten Sonntag im Advent. Wir werden erinnert, dass auch wir nur auf der Durchreise sind. Es geht dem wiederkommenden Herrn entgegen. Die Wochen bis Weihnachten laden uns ein, uns auf die Reise zu begeben, ihm entgegen. Für uns heißt es Koffer packen und aufbrechen.

Das scheint unserem adventlichen Wohnzimmergefühl zu widersprechen. Da wollen wir doch eigentlich nicht packen und ausmisten, die Reisekleidung anziehen und in die Kälte hinaus treten. Da wollen wir lieber ganz in Ruhe um den Adventskranz sitzen, Plätzchen essen, Weihnachtsmusik hören, es uns gut gehen lassen. Da richten wir uns lieber in dem Gegebenen ein, statt alles Bekannte hinter uns zu lassen.

Genau diesen Konflikt zwischen Wohnzimmer und Aufbruch gab es schon in der ersten Gemeinde. Man sprach in jedem Gottesdienst gemeinsam "Herr, komme bald!" und man hoffte darauf, dass Jesus Christus wiederkommen würde, um sein Reich aufzurichten. Weil die Gegenwart nur als kurze Übergangszeit verstanden wurde, teilte man alles miteinander. Wer Not hatte, bekam von anderen etwas zugesteckt, wer übrig hatte, gab davon allen ab. Doch es gab in dieser Urgemeinde in Jerusalem auch einzelne, die offenbar nicht so sehr mit dem nahen Weltende rechneten. Sie hatten trotz Frömmigkeit und Naherwartung ihre Alterssicherung im Blick. Statt das Geld von ihrem verkauften Acker der Gemeinde zur Verfügung zu stellen, hielten sie einen Teil zurück. Der Schwindel flog auf und das Gottesurteil traf das Ehepaar Hananias und Saphira hart und eindrücklich (Apostelgeschichte 5,1-11).

Von dieser Begebenheit in der jungen Gemeinde fühle ich mich ertappt. Wie Hananias und Saphira bekenne ich meinen Glauben an Jesus Christus. Aber gebe ich wirklich alles für ihn hin? Halte ich nichts zurück für meine eigene Sicherheit? Sitze ich jederzeit auf gepackten Koffern oder richte ich lieber mein Wohnzimmer gemütlich ein, als wäre es für die Ewigkeit?

Die Adventszeit ist eine notwendige Korrektur unseres ganz normalen Alltags. Sie reißt uns nicht gewaltsam von unseren Gegenwartsthemen fort. Aber sie lässt uns im übertragenen Sinne Koffer packen. Sie gibt uns ein Ziel für die Reise an, die Gemeinschaft mit Jesus Christus in Ewigkeit, und sie lässt uns überprüfen, ob wir bereit sind, die Reise anzutreten. 

Paulus hatte die Gemeinde in Rom aufgerufen, ihre Koffer zu packen.

Römer 13,11-14

Macht ernst damit - und das erst recht, weil ihr wisst, was die Stunde geschlagen hat! Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn unsere endgültige Rettung ist nahe; sie ist uns jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen. Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir alles ablegen, was zur Finsternis gehört, und wollen uns mit den Waffen des Lichtes rüsten. Wir wollen so leben, wie es zum hellen Tag passt. Keine Sauf- und Fressgelage, keine sexuellen Ausschweifungen, keine Streitigkeiten und Rivalitäten! Lasst Jesus Christus, den Herrn, euer ganzes Leben bestimmen, und hätschelt nicht eure alte selbstsüchtige Natur, damit die Begierden keine Macht über euch gewinnen.

Die Stunde hat geschlagen

Der Wecker klingelt, es ist Zeit aufzuwachen. Auch wenn wir unser ganzes Leben bis jetzt zugebracht hätten, ohne einen Gedanken an Jesus Christus zu verschwenden, ist jetzt die Stunde da, ihn endlich wahrzunehmen. Er kommt und bringt Rettung.

Sehr unterschiedlich sind die Situationen, aus denen wir Rettung brauchen. Mancher denkt an seinen Beruf. Er sucht nach einer Arbeitsstelle, doch immer wieder gibt es Absagen. Er fühlt sich wie in einem Moor gefangen. Je mehr er versucht, irgendwo unterzukommen, desto mehr verliert er an Boden und Selbstachtung. Wenn keiner ihn will, muss er wertlos sein. Manche denkt an ihre zerbrochene Liebe. Der Mann, der eine andere hat, der Mann, der sie verlassen hat, der Traumprinz, der sich nie eingestellt hat. Sie fühlt sich wie eine Ertrinkende, ganz allein im weiten Meer. Mancher sieht seine Geldsorgen. Er weiß nicht, wie er die nächsten Raten bezahlen soll. Sicher, er hat noch ein Dach über dem Kopf und äußerlich ist auch alles in bester Ordnung. Aber er fühlt sich wie ein Hochstapler, das Nein einer Bank kann ihm das Genick brechen. Und nicht wenige brauchen Rettung aus verletzten Beziehungen zu ihren Eltern, zu ihren Kindern. Die Allernächsten sind zu den Allerfernsten geworden. Statt Familie zu sein, hat man sich entfremdet, Trauer und Schmerz bleiben zurück, aber Rettung? Da bräuchte es schon ein Wunder. 

Genau auf dieses Wunder weist die Adventszeit hin. Jesus ist die Rettung und er kommt auf uns zu. Die Sorgen haben keine Macht mehr, uns auf dem scheinbar gemütlichen Wohnzimmersofa festzuhalten. Wir können unsere Koffer packen und der Not und Sorge entfliehen.

Nacht und Tag

Wenn Jesus uns aus dem Schlaf weckt, ist die Nacht schon fast vorbei. Nacht steht für ein egoistisches Leben auf Kosten anderer, das letztlich zerstört. Dieses Leben bei Nacht ist wie ein Alptraum. Aus diesem Alptraum können wir uns nicht selbst befreien, wir müssen von außen heraus geholt werden. Wenn der Wecker klingelt, wird der Alptraum beendet und die ersten Strahlen des Tages vertreiben langsam die Schrecken der Nacht.

Doch das erste Licht des Tages erhellt noch nicht alles, es lässt nur ahnen, dass es bald überall Tag werden wird. Eine solche Ahnung, dass Jesus es in unserem Leben hell machen will, bekommen wir, wenn Jesus in unser Leben eingreift. Sei es, dass sich neue Wege auftun, sei es, dass wir wieder Zuversicht haben, sei es, dass Versöhnung gelingt. Wir werden auf Jesus aufmerksam, wenn ein guter Bekannter zum Glauben findet und froh wird. Wir werden selbst vom Licht Jesu erhellt, wo wir uns in seine Nähe begeben und er uns erfüllt und verändert. Wer diesen Anbruch des Tages erlebt, sollte sich auf den Tag freuen und nicht müde wieder in die Kissen kriechen. Jesus steht bereit, mit uns ein neues Leben zu beginnen, das heute, im Advent 2003 beginnt und nicht mehr enden soll.

Auf gepackten Koffern

Weil der Tag lockt, macht es Sinn, die Koffer zu packen und dem Tag entgegen zu gehen. KofferPaulus beschreibt, was nicht in den Koffer gehört. Seiner Erfahrung nach passen durchfeierte Tavernennächte in Rom nicht zum Reisegepäck. Sie haben im Advent nichts zu suchen. Ganz allgemein führte Paulus kurz vorher aus, dass Lieblosigkeit, ein egoistischer Lebensstil und Verantwortungslosigkeit nichts bei Leuten verloren haben, die Jesus Christus entgegen gehen und mit ihm zusammen sein wollen.

Wir können jetzt unsere letzte Woche vor dem geistigen Auge vorüber ziehen lassen und feststellen, wie viele Situationen eigentlich nicht in die Adventskoffer gepasst haben. Das lieblose Wort gegenüber dem Arbeitskollegen, die schlechte Laune, die ich an den Kindern ausgelassen habe, die Undankbarkeit, mit der ich an meinem Arbeitsplatz saß, die Achtlosigkeit am Zebrastreifen, als ich die wartenden Kinder nicht wahrnahm, das Vordrängeln an der Kasse, weil ich es eilig hatte, die patzige Antwort am Telefon, weil ich gerade beim Essen war... Viele Kleinigkeiten, die mir bewusst machen, dass da noch viel aus meinen Adventskoffern auszumisten ist.

Doch Paulus bleibt nicht beim Ausmisten stehen, er sagt auch klar, was unbedingt eingepackt werden muss. Er schreibt von Waffen des Lichts. Im Brief nach Thessaloniki (1. Thessalonicher 5,8) qualifiziert er die Waffen des Lichts als Glaube, Liebe und Hoffnung. An diesen drei Stichworten möchte ich das Adventsgepäck konkretisieren.

  • Advent und Glaube: Auch wenn unser Terminkalender und unsere To-do-Liste uns lehren, dass es im Advent so hektisch zugeht, wie zu keiner anderen Jahreszeit, lädt Jesus uns gerade in diesen dreieinhalb Wochen ganz besonders ein, unser Vertrauen in ihn zu stärken. Und es ist sicher sinnvoll, sich schon am ersten Advent Gedanken zu machen, wie unsere Beziehung zu Jesus in den nächsten Tagen gelebt werden kann. Wer seinen Aufgaben und Vorhaben hektisch hinterher läuft, wird keinen Raum mehr finden, seine Beziehung zu Jesus zu pflegen. Kleine Rituale aber können helfen. Eine tägliche Zeit der Stille - wo auch immer sie möglich ist; eine Viertelstunde Zeit mit den Kindern, um eine Geschichte zu lesen und zu reden; ein Abendspaziergang durch den erleuchteten Ort und den Gedanken bei Jesus; die Lektüre eines Buches mit christlichem Inhalt, das Glauben stärkt. Durch solche Zeit setzen wir ein Gegengewicht zur Hektik und zum Stress der Vorweihnachtszeit. Es kann Advent werden, weil wir wenigstens während dieser paar Minuten dem Herrn entgegen sehen.
  • Advent und Liebe: Gerade dieses Thema scheint doch allgemein verständlich zu sein. Es geht ja in der Adventszeit hauptsächlich um Liebe, um Geschenke, um Stress um der Lieben willen. Aber geht es wirklich um Liebe? Geht es nicht oft auch um ein schlechtes Gewissen und Schlagabtausch, ein Aufrechnen und die Sehnsucht, selbst anerkannt zu werden? Man müsste mal eine Umfrage in der Fußgängerzone starten: Warum kaufen Sie Weihnachtsgeschenke? Vielleicht würden viele ehrlich sagen, dass es eben schon immer so war und man sich nicht traut, die Gewohnheit abzuschaffen. Vielleicht antworten aber auch einige, sie freuen sich, anderen eine Freude zu machen. Hoffentlich sehen die dann nicht so gehetzt aus wie die ersteren, sondern wie Adventsmenschen, angeschienen von Jesu Licht. In der Gemeinde haben wir die Chance, dieser Liebe im Advent ganz besonders Raum zu geben. Ich denke dabei nicht an die großen Geschenke aus der Haushaltswarenabteilung oder dem Heimwerkermarkt. Auch nicht an Geldgeschenke und Parfümerieartikel. Mehr an alternative Geschenke. Ich stelle mir vor, jede und jeder hier guckt sich eine Person aus, die sie oder er nicht gut kennt. Und in diesen Tagen versuchen wir, uns eine kleine Freude für diese Person auszudenken. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Frau, die Ihnen eben ein kleines Päckchen mit gebackenen Keksen in die Hand gedrückt hat, zwar schon von Weitem gesehen, ihren Namen kennen Sie aber nicht. Und da kommt diese Fremde und macht Ihnen eine Freude. Ist das nicht verblüffend und ebnet ganz neue Wege? Oder das Kind bei den Kirchenkindern bekommt von Ihnen eine Karte geschickt. Eine Karte nur für dieses Kind. Ist das nicht spannend, am nächsten Sonntag das Kind zu treffen und sich mit ihm zu unterhalten? Diese Art von Liebe gibt uns die Adventszeit auf. Sie macht frei und froh, sie verpflichtet nicht, sondern lässt den Tag Jesu anbrechen.
  • Advent und Hoffnung: In Gesprächen, die wir zur Zeit führen, thematisieren wir häufig die Großwetterlage. Die Wirtschaft wartet immer noch auf den Aufschwung, die Gesundheitsreform wird uns alle ins Unglück stürzen, von den Renten bleibt nichts übrig, bis wir so alt sind, sie zu beziehen, die Weltlage wird immer angespannter und verworrener. Es scheint, als hätten wir im Jammern den gemeinsamen Nenner gefunden. Aber es gibt einen Schalter in solchen Gesprächen, den wir umlegen können. Wir sollten auf keinen Fall beim Jammern stehen bleiben, sondern unsere gepackten Koffer thematisieren. Wo geht es eigentlich hin? Was ist das Ziel unseres Lebens? Wir werden schnell auf Glauben zu sprechen kommen, dass Jesus es ist, der uns Hoffnung gibt. Dass Jesus jeden Tag bei uns ist und er versprochen hat, diese Welt zu retten. Dass unser Leben nicht sinnlos ist, sondern von ihm her eine wichtige Aufgabe hat. Dass das Dunkel dieser Welt von Jesus hell gemacht wird. Sicher, ob der Gesprächspartner sich darauf einlässt, ist die andere Frage. Aber wir können dem Jammern nicht das Wort reden. Es ist unsere Aufgabe, etwas dagegen zu setzen. In einem Buch über Gespräche mit Sterbenden berichtete ein Seelsorger von einer alten Dame, die ihn bat, ihr nach dem Tod eine Gabel in die Hand zu drücken. Er war irritiert und fragte, wozu sie denn eine Gabel wollte. "Ja, wissen Sie, wenn ich sterbe, dann werde ich in die neue Welt Gottes gehen", antwortete sie, "und da wird mich eine große Festtafel erwarten. Alle, die an meinem Sarg vorbei gehen und von mir Abschied nehmen, sollen wissen, dass ich mich auf dieses Festessen mit dem Herrn freue und darauf vorbereitet bin." Der Seelsorger beschrieb, wie ihn dieser Wunsch noch viele Monate begleitet hatte und er seitdem eine Gabel auf dem Schreibtisch liegen hat. Sie ist für ihn Symbol für die Hoffnung geworden, dass eine große Zukunft auf ihn wartet.
Die Stunde hat geschlagen, das gilt für alle Menschen. Advent ist nicht nur Jahreszeit für Christen. Es ist die ganz große Einladung, dem Herrn zu begegnen, die Nacht zurück zu lassen und ihm entgegen zu gehen – voller Hoffnung.

Die Koffer können wir getrost packen, seine Rettung ist näher, als wir denken.

Cornelia Trick


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