Advent - geduldig anpacken
Gottesdienst am 6.12.2009

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
als wir in den Walliser Alpen den Pollux bestiegen und den Gipfelgrat erreichten, erklärte uns der Bergführer, dass er uns nun ans kurze Seil nehmen würde. Er wollte sofort spüren, wenn wir nach einer Seite abrutschten, Castor - Foto Markus Stadlerum dann auf die andere Seite zu springen. So konnte er uns vor dem freien Fall bewahren und verhindern, dass wir zu dritt in den Abgrund gerissen würden.

Advent ist eigentlich eine Gratwanderung. Auf beiden Seiten geht es steil nach unten, und die Gefahr besteht abzustürzen. Auf der einen Seite fallen wir herunter, wenn wir das Ziel aus den Augen verlieren, den Herrn, der uns entgegenkommt und auf den wir warten. Wir richten uns im Hier und Jetzt ein, sind zufrieden und erwarten Jesus Christus nicht mehr als Retter und Richter dieser Welt. Auf der anderen Seite stürzen wir ab, wenn wir vor lauter Warten auf den Herrn die Gegenwart mit ihren Herausforderungen vergessen und unsere Füße nicht mehr auf den realen Untergrund unseres Lebens hier und heute setzen. Wir empfinden die Gegenwart als unwichtig, die Tagespolitik als vergeblich und bald sowieso überflüssig. Warum sich da noch engagieren?

Der Schreiber des Briefes, der Jakobus genannt wird, hat diese Gratwanderung im Blick. Er will helfen, auf dem Grat zu bleiben und sowohl das Ziel im Auge zu behalten als auch die Gegenwart mit voller Aufmerksamkeit zu leben. Als Christ sagt er Christen, wie sie den Grat bis zu Jesu Wiederkommen bewältigen können.

Jakobus 5,7-11

Liebe Brüder und Schwestern, haltet geduldig aus, bis der Herr kommt! Seht, wie der Bauer voller Geduld auf die kostbare Frucht der Erde wartet. Er weiß, dass sie zum Wachsen den Herbstregen und den Frühjahrsregen braucht. Auch ihr müsst geduldig ausharren! Fasst Mut; denn der Tag, an dem der Herr kommt, ist nahe. Klagt nicht übereinander, sonst muss Gott euch verurteilen. Der Richter steht schon vor der Tür. Liebe Brüder und Schwestern, denkt an die Propheten, die im Auftrag des Herrn geredet haben. Nehmt euch ein Beispiel daran, wie standhaft sie ihre Leiden ertrugen! Allen, die durchhalten, ist unvergängliche Freude gewiss. Ihr habt gehört, wie geduldig Ijob die Proben ertrug, die ihm auferlegt wurden, und wisst, wie der Herr ihn am Ende belohnt hat. Der Herr ist voller Liebe und Erbarmen. 

Die Situation, in die hinein Jakobus diesen Brief schreibt, wird durch äußere und innere Spannungen geprägt. Von außen wird die Gemeinde der jungen Christen angefeindet. In der Gemeinde sorgen soziale Gegensätze zwischen Armen und Reichen für Konflikte, man redet schlecht übereinander und miteinander, man trifft keine klare Entscheidung für die Gemeinde und steht mit einem Fuß noch in der Welt, die Jesus Christus nicht kennt. Jakobus kritisiert Habgierige und Ausbeuter, die auf Kosten anderer leben und wohl auch zur Gemeinde gehören. 

Mit diesem Hintergrund hat Jakobus allen Grund darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, auf dem Grat zu bleiben. Weder ein gemütliches Einrichten in Reichtum und Wohlstand noch ein gleichgültiges Hinweggehen über ungerechte Zustände, die Gottes Willen nicht entsprechen, sind Zeichen einer Gratwanderung, sondern eher Ursachen für den Absturz. Deshalb mahnt er:

„Haltet geduldig aus, bis der Herr kommt“

Jakobus nennt zwei Beispiele. Er vergleicht das Leben eines Christen mit dem eines Bauers. Der Bauer ist angewiesen auf Herbstregen und Frühjahrsregen, wenn er sein Wintergetreide ernten will. Bleibt der Regen aus, wird seine Saat verdorren, und die Scheunen bleiben leer. So wie der Bauer auf den Regen ist der Christ auf den Segen Gottes angewiesen, der seiner Saat erst das Gedeihen gibt und zu Ernte führen wird. Während des Regnens ist Wachstumszeit.

Das zweite Bild zeigt die Propheten, wie sie im Alten Testament beschrieben sind. Sie hatten von Gott die Zusage, dass er gewiss kommen und eingreifen würde. Als der Prophet Habakuk verzweifelt fragte: “Herr, wie lange sollen wir noch auf Hilfe warten?“, antwortete Gott: „Was ich ankündige, wird erst zur vorbestimmten Zeit eintreten. Wenn das Angekündigte sich verzögert, warte darauf! Es wird bestimmt eintreffen und nicht ausbleiben.“ Obwohl die Propheten wussten und sich immer neu zusprechen ließen, dass Gott kommen wird um zu retten, setzten sie sich mit ihrem ganzen Leben dafür ein, die Irrwege des Volkes Israel zu stoppen und der Geschichte eine Wende zu geben. Bis zuletzt suchten sie die Auseinandersetzung mit den Machthabern, um sie umzustimmen, wie das auch an der Lebensgeschichte Jeremias abzulesen ist. Die Propheten wussten um das Ziel und lebten doch voll und ganz im Jetzt. Sie erstarrten oder resignierten nicht, sondern packten ihre Aufgabe an. Auch wenn Hiob kein Prophet war, so zeigt doch auch seine Geschichte, wie er die Schicksalsschläge nicht einfach resigniert zur Kenntnis nahm, sondern mit Gott rang, um dessen Wege zu verstehen und mit ihm wieder einig zu sein. Er ließ Gott nicht los, bis der ihm Antwort gab. Und Gott belohnte seine Beharrlichkeit, auf dem Gipfelgrat zu bleiben, um ans Ziel zu kommen.

Die Geduld des Bauern

Sie kennen sicher die roten wunderschönen Tomaten im Winter, die nach nichts schmecken. Sie werden in den wärmeren Ländern grün gepflückt, um unbeschädigt transportiert werden zu können. Im Zielland werden sie mit Kohlendioxid geduscht und gewinnen so schnell ihre rote Farbe. Aber den Reifeprozess am Strauch kann das Kohlendioxid nicht ersetzen. Und mit dem Reifeprozess bleibt der Geschmack auf der Strecke. Wie mit Tomaten gehen wir auch mit anderen Themen um, es fällt schwer, geduldig zu sein. Man möchte das Reifen abkürzen und nach dem Säen gleich ernten. Doch es funktioniert weder bei Tomaten und Wintergetreide noch bei den wirklichen Lebensthemen.

Das hat verschiedene Gründe:

  • Wir brauchen Zeit zum Lernen. Nur was mehrfach wiederholt wird, speichert sich im Langzeitgedächtnis ab. Und selbst dann muss es wieder und wieder erinnert werden. Wie staunte ich, als ich vor kurzem ein paar alte Mathe-Hefte aus meiner Schulzeit fand. Es waren dieselben Aufgaben, die unsere Kinder jetzt rechnen, und das Faszinierende, ich hatte sie damals gelöst. Heute kommen mir diese Aufgaben wie eine unbekannte Fremdsprache vor. Ich habe Mathematik vergessen, weil ich sie nie anwandte. Um Gott zu vertrauen, brauche ich Zeit. Ich muss die Vertrauensübungen täglich wiederholen, immer wieder mich in seine Hand fallen lassen. Um Gott zu gehorchen brauche ich Übung. In verschiedenen Lebenssituationen muss ich Gottes Willen folgen lernen und in den Fußspuren Jesu gehen. Mit einem Mal werde ich es nicht lernen.
  • Wir brauchen Zeit zum Verlernen. Als wir damals unsere Gipfeltouren in den Walliser Alpen machten, mussten wir auch viel verlernen, z.B. war es absolut lebensgefährlich, sich aus dem Seil auszuklinken und sein eigenes Ding zu machen. Sogar ein Solo-Toilettengang war unmöglich, auch dabei mussten wir im Seil eingebunden bleiben. Wir mussten verlernen, nach eigenem Tempo zu laufen. Schrittgeber war der Bergführer, und nur in seinem Tempo hatten wir eine Chance, auf den Gipfel zu kommen. Wir verlernten auch sehr schnell, unsauber aufzutreten, nur mit der vollen Sohle fanden unsere Steigeisen im Eis Halt. Einfach so zum Gipfel tänzeln, ging nicht. Wir waren auf 4000m Höhe, nicht im MTZ (Main-Taunus-zentrum). Wir mussten verlernen, uns nur um uns zu kümmern. Das schwächste Glied in unserer Gruppe war der Maßstab. So verlernen wir auch unter Jesu Leitung Solo-Touren, Überholmanöver und Egoismus. Und das braucht Zeit, für die wir Geduld aufwenden sollten.
  • Geduld brauchen wir auch für Wachstumsprozesse, die schmerzen. Es scheint verlockend, diese Wachstumsprozesse abzukürzen: „Ich bin so, und das ist gut so!“ Aber wir berauben uns der Möglichkeit, uns durch Gottes Regen weiterzuentwickeln. Wir tun gut daran, die Gelegenheiten zu nutzen, uns in Frage zu stellen und Gott an uns arbeiten zu lassen. 
Die Geduld des Bauern ist adventliche Geduld. Sie ermöglicht, dass wir bereit werden, den kommenden Herrn zu empfangen. Sie macht uns aufnahmefähig für Gottes Leitung und bewahrt uns davor, den kommenden Herrn aus den Augen zu verlieren.

Die Geduld der Propheten

Wir haben eine Gefriertruhe, die langsam in die Jahre kommt. Vor kurzem ging die Abtauautomatik irgendwie kaputt, seitdem ist in der ersten Schublade hauptsächlich Wassereis. Nun, die anderen drei Schubladen funktionieren noch. Und da man nach 20 Jahren sowieso eine neue Truhe kaufen sollte, bis dahin nur noch gut zwei Jahre fehlen, lohnt sich auch kein Kundendienst mehr. Wir werden die 2 Jahre schon noch überstehen. Aber ist unsere Welt etwa auch eine 18-jährige Gefriertruhe? Ist es uns egal, ob sie in den verbleibenden Jahren noch funktioniert, und einen Kundendienst finden wir zu teuer?

Nein, lehren uns die Propheten. Auch wenn nur noch zwei Jahre bleiben sollten, haben wir uns voll und ganz ins Geschehen dieser Welt einzumischen. Wir sind aufgefordert Gottes Willen zu leben. Das entfaltet sich in drei Richtungen. 

  • Wir laden Menschen in die Beziehung zu Jesus ein.
  • Wir sorgen für diese Welt, die Gottes Schöpfung und Eigentum ist. Wir behandeln sie wie ein Pflegetier, das wir über die Ferien für unsere Freunde zu versorgen haben. Mit allen Kräften werden wir verhindern, dass das Tier durch Vernachlässigung sterben wird. Wie sollten wir unseren Freunden wieder unter die Augen treten?
  • Wir leben Barmherzigkeit, wie wir sie von Jesus erfahren haben. Den Lazarus vor der Tür versorgen wir, weil es unser ureigenster Wunsch ist, Liebe denen zu geben, die nichts erwidern können.
Unser Einsatz hat immer das Ziel vor Augen und ist Hinweisschild darauf: Jesus kommt wieder, er richtet einen neuen Himmel und eine neue Erde auf, und dort werden Friede und Gerechtigkeit wohnen.

Fasst Mut! Klagt nicht übereinander!

Es braucht Mut, einen Gipfelgrat zu begehen. Schnell wird einem dabei schwindlig, der Abgrund links und rechts übt regelrecht Sogwirkung nach unten aus. Gut, dass wir Jesus als Bergführer bei uns haben, der auf die andere Seite springt, wenn wir ins Rutschen kommen.

Wir sind nicht allein unterwegs. Als Gemeinde sollen wir beieinander bleiben. So haben wir den Rücken frei für den Außendienst und bilden das Werbeposter für den neuen Himmel und die neue Erde: in Liebe beieinander, geheilt und heilend, in Gemeinschaft mit Jesus. Statt übereinander zu stöhnen können wir uns in der Fürbitte einüben, ein viel effektiverer Weg des Aneinander-Denkens.

Da unser Weg Zeit braucht und unser Wachstum Geduld erfordert, ist es wichtig, uns von Jakobus zusagen zu lassen:
Der Herr ist voller Liebe und Erbarmen“, er führt den Weg über den Grat zum Ziel.

Cornelia Trick


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Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
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