Allianz-Gebetsabend
am 14.01.2000
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist ein brennendes und gleichzeitig schwieriges
Thema, dem wir uns heute nähern. Versöhnung ist so wichtig für
ein gelingendes Leben wie Sonne, Wasser und Brot. Denn wir alle sind unvollkommen,
auf Hilfe angewiesen und machen viel falsch. Ohne Versöhnung bleiben
wir in unserem Versagen allein, menschliche Beziehungen zerbrechen und
Gemeinschaft wird unmöglich. Vielleicht ist fehlende Versöhnung
auch eine Ursache für die Situation heute. Wo man nicht bereit ist,
sich immer neu zu vergeben, kommt es zu Zerbruch, Scheidung, Trennung in
jeder Hinsicht.
Ein gutes Bild für Versöhnung gibt
uns der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief. Er macht die Versöhung
am Kreuz
Jesu Christi fest. Schauen wir uns das Kreuz genauer an, so entdecken wir
daran beide Ebenen, in denen Versöhnung geschehen muss. Da ist der
senkrechte Balken. Er weißt hin auf die Beziehung zwischen Gott und
Mensch. Der Balken durchbricht die Trennung und steht für neue Gemeinschaft,
eben weil wir in Christus mit Gott versöhnt sind. Der horizontale
Balken stellt die Verbindung von uns untereinander dar. Weil wir mit Gott
versöhnt sind, greift diese Versöhnung auch in unseren ganz alltäglichen
Beziehungen. Statt Zerbruch entsteht neues Vertrauen.
Ich lade Sie nun ein, mit mir zusammen den Abschnitt
aus dem 2. Korintherbrief zu lesen:
2.Korinther 5,19-21
Paulus schreibt: So lautet diese Botschaft: In Christus
hat Gott selbst gehandelt und hat die Menschen mit sich versöhnt.
Er hat ihnen ihre Verfehlungen vergeben und rechnet sie nicht an. Diese
Versöhnungsbotschaft lässt er unter uns verkünden. Uns Aposteln
hat Christus den Auftrag und die Vollmacht gegeben, diese Botschaft überall
bekannt zu machen. Ja, Gott selbst ist es, der durch uns die Menschen ruft.
So bitten wir im Auftrag von Christus: "Bleibt nicht Gottes Feinde! Nehmt
die Versöhnung an, die Gott euch anbietet!" Gott hat Christus, der
ohne Sünde war, an unserer Stelle als Sünder verurteilt, damit
wir durch ihn vor Gott als gerecht bestehen können.
Dieser Gebetsabend ist für uns eine Chance,
über unseren persönlichen und gemeindlichen Horizont hinaus einen
neuen Blick für Gottes Möglichkeiten zu bekommen. Die Möglichkeiten
beginnen gemäß unserem biblischen Abschnitt mit der grundsätzlichen
Aussage:
Gott versöhnt sich
mit uns
Dass das überhaupt nötig ist, beschreibt
die Bibel von den ersten Seiten an. In Selbstüberschätzung meinen
wir, unser Leben selbst im Griff zu haben, wollen uns nicht dreinreden
lassen und machen die Ohren für Gottes werbende Einladung dicht. Dieses
Verhalten nennt die Bibel Sünde. Und die Folge von Sünde ist
notwendig Tod, denn wer das Leben nicht bei Gott sucht, hat es letztlich
verwirkt. Paulus beschreibt nun in knappen Worten Gottes Antwort auf unsere
Verweigerung. Er begibt sich auf die Suche nach uns. Er schickt seinen
Sohn, der auf Gott aufmerksam macht und vor den Folgen eines Lebens auf
eigene Rechnung warnt. Gott nimmt in seinem Sohn sogar die Folgen der Sünde
auf sich, um ein für allemal eine rettende Brücke zu uns selbstvergessenen
Menschen zu schlagen. Das Kreuz wird zum Ort, wo neues Leben wirklich wird.
Die Sünde ist durchbrochen, der Tod bedeutet nicht länger Endstation,
die Zukunft hat angefangen und vertrauensvolle Gemeinschaft mit Gott ist
möglich.
Gott versöhnt sich mit uns, um uns aus
unserer Einsamkeit und unserem Scherbenhaufen des Zerbruchs heraus zu retten.
Unser Beitrag dazu besteht in einem schlichten "Ja, ich will mir von dir
helfen lassen!" Das hat Folgen auf der horizontalen Ebene, im Verhältnis
zu unseren Mitmenschen. Denn wie Gott den ersten Schritt auf uns zu tut,
so können wir nun den ersten Schritt auf unsere Mitmenschen zu tun.
Wir sind Botschafter in einem fremden Land und haben davon zu erzählen,
was Gott an uns getan hat. Paulus gibt uns als Botschafter und Botschafterinnen
im Main- Taunus- Kreis einen sehr konkreten Auftrag, mit ihm sollen wir
es dem Nachbarn, der Kollegin, dem Bekannten weitersagen: "Bleibt nicht
Gottes Feinde! Nehmt die Versöhnung an, die Gott euch anbietet!"
Wir denken heute Abend als Christen über
die Konsequenzen nach, die sich daraus für unser persönliches
Leben und unsere Gemeinden ergeben. Versöhnung zwischen Gott und Mensch
und daraus folgend zwischen Mensch und Mitmensch ist ein langer Prozess.
Das Herz und die Hände hinken dem Kopf oft etwas nach. Und so möchte
ich jetzt die nächsten Stationen aufzeigen, die sich aus der Versöhnung
mit Gott ergeben.
Beginn der Versöhnung
Da hat es ordentlich gekracht. Ein langjähriger
Mitarbeiter ist angegriffen worden, er solle endlich den Jüngeren
Platz machen. Der Mitarbeiter ist tief verletzt. Wollte er nicht immer
die Jugend mit heran führen? Und hatte er nicht bei jeder Wiederwahl
betont, er freue sich, wenn andere die Aufgabe übernehmen würden?
Und jetzt so etwas. Er versteht die Welt nicht mehr und seine Freunde verstehen
sie auch nicht mehr. Sie reden dem Mann gut zu und greifen die bösen
anderen an. Eine tiefe Kluft zieht sich durch die Gemeinde. Versöhnung
ist möglich - ja, das würden sicher alle unterschreiben, aber
wie im konkreten Fall? Aus der Bibel können wir lernen, dass am Anfang
nicht gleich der versöhnende Handschlag stehen muss. Zuerst - und
da ist die Bibel ganz realistisch - kommen die Schmerzen, Schmerzen von
der Verletzung, Schmerzen, weil man enttäuscht wurde, Schmerzen, weil
wieder einmal Gemeinschaft zerbrochen ist. Wie Josef Schmerzen empfand,
als seine Brüder ihn in Ägypten aufsuchten, und er alles, was
sie ihm angetan hatten, wieder lebhaft vor Augen sah. Und merkwürdigerweise
sind gerade diese Schmerzen der erste Schritt zur Versöhnung. Da wird
nämlich klar, es kann so nicht weitergehen. Die Schmerzen machen fertig,
und wenn sie erst mal chronisch sind, ist es möglicherweise schon
zu spät zum Heilen. Es ist gut, wenn wir uns die Freiheit nehmen,
auf unsere Schmerzen zu achten. Der Mitarbeiter darf sich verletzt fühlen.
Er darf die Enttäuschung und auch die Wut in sich spüren. Und
er hat eine Hilfe. Jesus möchte ihm gerade in seiner Not beistehen
und die Sache für ihn in die Hand nehmen. In vielen Psalmen des Alten
Testaments bringen die Psalmbeter ihre Wut, ihre Ohnmacht, ihren Schmerz
zum Ausdruck. Verraten und verkauft fühlen sie sich und sie sagen
es Gott, denn der soll seine Gerechtigkeit walten lassen und dem Schmerz
ein Ende bereiten. Der Mitarbeiter kann ein solches Psalmgebet ganz persönlich
beten. Hier kommt er vor mit seinen Wunden und hier keimt schon die Hoffnung
auf eine Zukunft und auf Versöhnung.
Versöhnung kostet
etwas
Leider gibt es nun aber kein Wundermittel zur Wundheilung
- in 24 Stunden alles vergessen. Nein, Versöhnung kostet etwas. Der
nächste Schritt aus dem Schmerz heraus ist ein großer Willensakt,
der viel fordert. Jesus bereitet uns darauf in der Bergpredigt vor. Er
gibt uns da ganz klare Handlungsanweisungen, die fast wie eine Zumutung
wirken. Er fordert uns auf, die linke Backe hinzuhalten, wenn jemand auf
die rechte geschlagen hat, er will, dass wir - wenn wir um den Rock gebeten
werden - auch den Mantel hergeben, er mutet uns zu, einen Feind nicht nur
eine Meile zu begleiten, sondern gleich zwei. Das sind alles zuvorkommende
Maßnahmen, die das Gegenüber entwaffnen, die aber auch das Gegenteil
bewirken können, dass der andere wirklich zuschlägt. Wenn wir
uns nicht nur in unseren Schmerzen wälzen wollen, sondern dann auch
die Kraft in Anspruch nehmen, den nächsten Schritt zu tun, dann werden
wir uns darauf einstellen müssen, dass Vergebung etwas kostet. Der
Mitarbeiter kann demnach nicht mit gleicher Münze zurückzahlen.
Er kann nicht seinerseits die anderen in Verruf bringen oder Schlechtes
über sie verbreiten. Er muss sich gemäß den Worten Jesu
den Angreifern stellen und ihnen offene und ehrliche Antworten geben. Er
kann ihnen in ruhigen Worten erklären, warum er bis jetzt diese Aufgabe
als seine Aufgabe sieht. Er kann ihnen erzählen, dass er die Aufgabe
mit großer Freude tut, aber er muss auch einstecken, wenn ein anderer
sich für die Aufgabe berufen sieht und sich von ihm verdrängt
fühlt. Der Mitarbeiter mag seine Aufgabe verlieren, was er aber ganz
neu dabei gewinnt ist viel mehr: ein erstes Zusammenwachsen der Verletzungen,
die Hoffnung auf endgültige Heilung.
Loslassen der Person
Wenn der Mitarbeiter so ähnlich ist wie ich,
dann wird er die Leute, die ihn angegriffen haben, in Zukunft gut beobachten.
Er wird sich ein heimliches Notizblöckchen einrichten und darauf vermerken,
wie es mit den Leuten weitergeht. Machen sie die gleichen Dinge wieder?
Wen verletzen sie jetzt? Was wollen sie von mir? Ändern sie sich?
Ein solches Notizblöckchen zeigt, dass die Sache im Inneren noch lange
nicht erledigt ist. Man kann die Person, die einen verletzt hat, nicht
loslassen. Man möchte weiter kontrollieren, Macht haben, letztlich
erleben, dass die Person falsch lag und man selbst richtig. Aber die Bibel
zeigt uns eine andere Haltung. Jesus fordert auf zu bedingungsloser Feindesliebe,
was doch nichts anderes bedeutet, als loszulassen, nicht mehr zu kontrollieren,
Gott machen zu lassen. So hilft uns der Blick auf Jesus, den anderen seinen
Weg gehen zu lassen und ihn noch nicht mal durch Kontrolle und heimliche
Notizbücher an uns zu binden. Gottes Ja steht auch über dem andern.
Deshalb braucht der andere nicht meine Kontrolle, das kann ich getrost
abgeben. Dadurch werden viele Energien frei, die ich für mein sonstiges
Leben nutzen kann. Statt immer auf den anderen zu lauern, kann ich mich
Jesus anvertrauen und er sorgt dann für den andern. Eigentlich so
einfach und doch so schwer, nicht wahr? Der Mitarbeiter muss nicht sein
ganzes Leben lang seine Angreifer skeptisch beobachten, er kann sie Jesus
übergeben und selbst mehr und mehr ein freies Herz bekommen, um neue
Erfahrungen zu machen.
Eigenverantwortung übernehmen
Ich begegne immer wieder Menschen, die sehr genau
wissen, warum sie so sind und nicht anders. Ich gehe nicht mehr in eine
Gemeinde, weil ich da mal tief verletzt wurde. Ich will nicht mehr mitarbeiten,
weil ich da so fertig gemacht wurde. Ich will mit niemand mehr eine Freundschaft
eingehen, weil ich mal so enttäuscht wurde... An dieser Stelle möchte
ich zurück fragen. Brauchst du einen Sündenbock, weil das so
viel bequemer ist, als einen neuen Anfang zu wagen? Ist die Verletzung
zum sanften Ruhekissen geworden, um nichts ändern zu müssen und
allen ein schlechtes Gewissen zu machen? Jesus möchte, dass wir als
Versöhnte in dieser Welt leben. Er gibt uns alles an die Hand, um
den Schmerz zu stillen, uns den Kosten der Versöhnung zu stellen und
loszulassen. Aber er möchte uns dann nicht verlieren, sondern erst
recht als Botschafter der Versöhnung einsetzen. Wir haben eine freie
Wahl, ob wir anderen unser Leben in die Schuhe schieben oder es selbst
in die Hand nehmen. Der Mitarbeiter ist nun gefragt, wie sein weiterer
Weg in der Gemeinde aussehen wird. Verständlich wäre es, wenn
er sagt, nie wieder. Aber Jesus braucht ihn und da sind viele Aufgaben,
die gerade auf ihn warten. Ob wir aus der Versöhnung leben, zeigt
sich genau an diesen Stellen - wo wir den mühsamen Schritt in die
Zukunft tun und uns von Jesus den neuen Platz zuweisen lassen.
Sehnsucht nach Versöhnung
Angenommen, der Mitarbeiter hat nun seinen neuen
Platz gefunden. Er ist dort wider Erwarten glücklich, erlebt im Nachhinein
die Führung Gottes selbst im tiefen Tal des Schmerzes und die Gemeinde
geht langsam wieder zur Tagesordnung über. Da mag in dem Mitarbeiter
der Wunsch wachsen, seinen Angreifern die Hand der Versöhnung zu reichen
und einen endgültigen Schlussstrich unter den Krach zu ziehen. Ganz
neue Gedanken wachsen in seinem Inneren. Er wünscht den Leuten in
seinen Gebeten Gottes Segen, er freut sich, wenn sie von Gotteserfahrungen
berichten. Er setzt sich im Gottesdienst neben sie und rennt auch beim
Gemeindewochenende nicht vor ihnen weg. Und diese Sehnsucht nach Versöhnung
wächst in ihm wie ein kleines Pflänzchen. Da ergibt sich zum
Beispiel beim Abendmahl und dem Friedensgruß, dass er auf die Leute
zugeht und ihnen die Hand gibt. Und sie schlagen voller Freude ein und
nehmen einander in die Arme. Sichtbarer kann die Wirkung des Abendmahls
kaum sein. Aber Sie erzählen mir vielleicht jetzt ganz andere Geschichten,
wo Ihre Hand zur Versöhnung ausgeschlagen wurde, wo Sie dem andern
nachgelaufen sind, ohne Erfolg, wo sie über Jahre hinweg um Versöhnung
beten und das Gegenteil geschieht. Leider kenne ich die Geschichten auch
und leider überwiegen sie sogar. Paulus hat das mit Barnabas erlebt
und andere Beispiele in der Bibel gibt es genug. Versöhnung ist nicht
nur abhängig von mir, sie ist auch abhängig vom andern. Solange
er nicht bereit ist, kann es nur ein einseitiger Friede sein. Doch ich
bin überzeugt, dass es wichtig ist, das Ziel der Versöhnung mit
dem andern im Auge zu behalten. Als Christen haben wir die Hoffnung auf
unseren Herrn und damit ist nichts unmöglich. Die tiefsten Gräben
hat er für uns überwunden, warum sollte er dann nicht unsere
Herzen erweichen und Versöhnung untereinander schaffen?
Versöhnung ist möglich, sie ist aber
auch nötig. Wir sollten an keiner Station hängen bleiben, sondern
uns die Kraft unseres Herrn Jesus Christus schenken lassen. Er befähigt
uns, einen Schritt nach dem andern zu tun und dem Ziel entgegen zu gehen,
Versöhnung nicht nur zu predigen, sondern zu leben in all unseren
Bezügen.
Cornelia
Trick
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